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Landeszeitung Lüneburg: "Das bestärkt die Extremisten" - Interview mit dem Kosovo-Experten Visar Duriqi.

Lüneburg (ots)

Anfang der Woche sind die ersten Kapitel der Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens geöffnet worden. Brüssel wollte damit die Kompromissbereitschaft Serbiens im Kosovo belohnen. Dieser Schritt stößt im Kosovo, das sich 2008 von Serbien abgespalten hatte, auf Unverständnis. "Das wird die Extremisten und Nationalisten im Land nur noch bestärken, die Gefahr eines Bürgerkriegs wird immer größer", sagt Visar Duriqi, ein bekannter Journalist, der seit März bei der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte aufgenommen wurde, im Interview mit unserer Zeitung.

Kritischer Journalismus ist - wie Sie am eigenen Leib erfahren mussten - gefährlich. Welche Chance hat die Pressefreiheit im Kosovo? Visar Duriqi: Ja, in der Tat ist investigativer Journalismus im Kosovo eine riskanter Job. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar in der Verfassung verankert, aber die große Hoffnung diesbezüglich liegt vor allem auf dem Internet. Das ist das Mittel, mit dem wir gegen Korruption und kriminelle Machenschaften vorgehen können. Die klassischen Medien - Fernsehen, Radio, Zeitungen - spielen eher eine untergeordnete Rolle. Sie sind zudem zu teuer für junge Menschen.

Zu teuer?

Duriqi: Ja, ich meine in Bezug auf die Herstellung. Die traditionellen Medien werden von wirtschaftlichen Interessen gelenkt, und die sind oft nicht mit Negativschlagzeilen zu vereinbaren.

Sind denn Computer und Smartphones weit verbreitet?

Duriqi: Ja, die neuen Technologien sind durchaus vorhanden und die jungen Leute kennen sich gut damit aus. Auch die englische Sprache ist kein Problem für sie. Einige sprechen auch Deutsch oder andere Sprachen. Nur mit Hilfe der neuen Medien können wir etwas in der Gesellschaft verändern.

Kosovaren gehören nach den Syrern und Albanern zu den größten Flüchtlingsgruppen in Deutschland. Allerdings werden die meisten Asylanträge von Kosovaren abgelehnt. Warum wollen dennoch immer noch so viele nach Deutschland? Es müsste sich doch eigentlich herumsprechen, dass sich die Strapazen der Flucht nicht lohnen?

Duriqi: Ich will daran erinnern, dass Kosovaren, insbesondere albanische Kosovaren, eine starke Beziehung zu Deutschland haben. Denn schon vor dem Krieg gab es viele Menschen, die nach Deutschland geflohen waren und dort Asylanträge gestellt haben, also in der Zeit, als Kosovo unter serbischer Besatzung stand. Dadurch haben viele Verwandte, die in Deutschland leben. Diese berichteten nur Positives über Deutschland, ein tolles Land, das große Chancen bietet. Heute ist die Flucht nach Deutschland zu einem schmutzigen Geschäft geworden. Es gab große - illegale - Kampagnen, die für die Flucht nach Deutschland warben. Die Schlepper haben die Leute regelrecht belogen, verbreiteten nach wie vor das Bild vom Land, das ihre Sehnsüchte stillen kann. Sie argumentierten, dass die deutsche Bevölkerung immer älter wird und junge Arbeitskräfte braucht. Doch die Träume zerplatzten. Das sind Dealer, Mafiosi, serbische Mafiosi, die mit dem serbischen Staat kooperieren.

Und was ist mit denen, die abgewiesen werden und wieder zurückkommen?

Duriqi: Viele kommen sogar freiwillig zurück, wenn sie merken, was los ist. Sie sind aber nicht böse auf Deutschland, sondern sie haben verstanden, dass sie auf große Lügen hereingefallen sind.

Korruption ist ein Tatbestand, den Sie immer wieder anprangern. Lässt sich dieser Missstand überhaupt ändern, wenn alle - von Parteien über Justiz bis zur Polizei - dieses Spiel mitspielen?

Duriqi: In Sachen Gerechtigkeit kann uns nur die internationale Gemeinschaft helfen. Zum Beispiel durch die Organisation Justice and Peace Netherlands, die die Menschen vor Ort berät. Denn wer Frieden anstrebt, muss zuerst Gerechtigkeit schaffen, also einen Justizapparat einrichten. Und in meinem Land haben wir kein funktionierendes Justizwesen. Die Korruption fängt bei der Justiz an, zieht sich über die Polizei, Schulen bis hin zur Regierung. Wir brauchen unbedingt Unterstützung von außen. Bei uns agieren noch Richter vom Milosevic-Regime. Das liegt daran, dass Richter, die vor allem für die Korruptionsfälle eingesetzt wurden, mindestens 15 Jahre Berufspraxis haben mussten. Also kamen nur altgediente Juristen zum Zuge, die schon mindestens fünf Jahre unter Milosevic gedient haben. Das war eine herbe Enttäuschung für junge Rechtsexperten. Auch im Gesundheitswesen herrscht Korruption: Ärzte schanzen sich Patienten via Prämien zu. Korruption erstreckt sich über alle Lebensbereiche, dem können nur von außen eingesetzte starke Staatsanwälte und Berater Einhalt gebieten.

Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Hat die EU genug getan, um die Modernisierung des jüngsten Staats Europas zu unterstützen?

Duriqi: Nicht wirklich, es ist ein schwieriger Weg. Diejenigen Experten, die bisher via EULEX (Red.: Rechtsstaatlichkeitsmission der EU) geschickt wurden, sind die schlechtesten, die man sich wünschen kann. Sie sind sogar selbst Teil des korrupten Systems geworden. Diese Mission kostet jährlich mindestens 80 Millionen Euro. Eine große Zahl an Polizisten, Soldaten, Richtern und andere Experten ist im Land, doch sie bewirken nicht viel, genießen ein bequemes Leben, das dort sehr preiswert ist.

Ein Problemfall stellt die serbische Minderheit im Norden dar und die Beziehung zu Serbien. Ganz aktuell: Die EU hat Beitrittsverhandlungen mit Serbien eröffnet, Kosovo hat daraufhin angeordnet, keine serbischen Personalausweise mehr zu akzeptieren. Wann werden die Wunden der Vergangenheit verheilt sein?

Duriqi: Die Entscheidung, EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufzunehmen, aber auf der anderen Seite die Visumspflicht für Kosovaren - Kosovo ist das einzige Land in Europa, dessen Einwohner zur Einreise in die EU ein Visum brauchen - nicht aufzuheben, ist total beunruhigend. Das ist Wasser auf die Mühlen der Extremisten und Nationalisten. 16 000 Kosovo-Albaner sind im Krieg gefallen, 800 000 wurden verschleppt, 20 000 Frauen vergewaltigt. Das ist wirklich schlimm. Denn diese Frauen sind am Boden zerstört, niemand will sie heiraten, oft werden sie sogar von der Familie verstoßen. Und die Serben, die dafür ins Gefängnis mussten, können sie an zwei Händen abzählen. Derzeit erheben sie Klagen gegen albanische Verbrecher, aber nicht gegen serbische. Vor diesem Hintergrund kann es keine Abkommen geben, auf denen man aufbauen kann. Ein Staat im Staat, das macht keinen Sinn.

Die Bundesrepublik Deutschland hat Kosovo als sicheres Herkunftsland eingestuft. Wie sicher sind die Bürger im Kosovo tatsächlich?

Duriqi: Von Sicherheit kann nicht die Rede sein. Etwa 35 Prozent der Bevölkerung sind arm, mehr als 60 Prozent der jungen Leute sind arbeitslos - das sorgt automatisch für ein unsicheres Umfeld. Viele hängen herum, sind hoffnungslos. Oft müssen sie von 50 Cent pro Tag leben. Es ist ein Teufelskreis aus Armut und Korruption, der in die Isolation führt.

Immer wieder hört man von Chaos im Parlament, Tränengas-Aktionen seitens der Opposition. Ist das der richtige Weg?

Duriqi: Nein, aber was sollen wir tun, wir sind arm, isoliert, fühlen uns ungerecht behandelt. Ein Bürgerkrieg scheint der einzige Ausweg, d.h. die Auseinandersetzungen im Parlament haben jetzt schon bürgerkriegsähnliche Züge.

Die Einstufung als sicheres Herkunftsland wird auch von Regierungschef Isa Mustafa unterstützt. Was steckt dahinter und wie kommt das bei der Bevölkerung an?

Duriqi: Weil er an der Macht ist und sich als Gutmensch verkaufen will. Auch er gehört zum Zirkel der korrupten Gesellschaft. So hat er kürzlich seinem Sohn einen Job in der Regierung verschafft, Postengeschacher nach arabischer Art. Da kommt es ihm gut zupass, wenn Deutschland den Kosovo als sicheres Land einstuft.

Könnte ein Abkommen über reguläre Arbeitsmigration Abhilfe schaffen?

Duriqi: Durchaus, denn ohne Jobs kommen die Bürger sich vor wie Sklaven. Ich sehe zwei Möglichkeiten, aus der Misere herauszukommen: Deutschland investiert im Kosovo und schafft damit Jobs. Ich weiß, dass das schwierig ist. Aber letztendlich ist es auch für Deutschland günstiger, als die Flüchtlinge zu versorgen. Ein Anreiz für deutsche Firmen könnten die geringen Lohnkosten sein. Oder/und es werden Kosovaren Stellen in Deutschland angeboten. Es gibt zwar schon Abkommen, die Arbeitsvisa ermöglichen, aber das Verfahren ist viel zu kompliziert und auch eingeschränkt, bedarf dringend einer Überarbeitung.

Welche Rolle spielt der IS mittlerweile im Kosovo?

Duriqi: Isis hat eine Menge Unterstützer. Kosovo hat bei nur 1,8 Millionen Einwohnern mehr als 400 000 Mudschahedin. Viele Anhänger sind skrupellos, schrecken vor Tötung nicht zurück. 90 Prozent der Bevölkerung sind Moslems. Früher herrschte ein sehr liberaler Islam, aber nach dem Krieg wendete sich das Blatt. Durch die Investitionen aus Saudi-Arabien radikalisierte sich die Szene. Mittlerweile haben wir 20 Moscheen, die Al Kaida gehören. Viele Imame halten Hasspredigten gegen Christen und andere Minderheiten. Und die Regierung schaut nur zu.

Kosovo hat mit Atifete Jahjaga eine Frau als Präsidentin. Welchen Einfluss hat das auf die Rolle der Frau im Kosovo, welche Rechte haben sie?

Duriqi: Die Sache hat einen Haken: Jahjaga wurde nicht vom Volk gewählt, sondern vom US-Botschafter ernannt. Sie ist nur eine Marionette und repräsentiert nicht das Volk. Sie macht ihren Job gut, dennoch ihr fehlt der Rückhalt im Land. Die Tatsache, dass wir eine Präsidentin haben, sagt nichts über die Rechte der Frauen aus. Sie haben in der Realität wenig Rechte. Es gibt zwar noch ein paar Frauen in Führungspositionen, doch oft handelt es sich lediglich um Posten für Ehefrauen von Männern, die gute Verbindungen haben. Diese Posten, meist ohne Einfluss, haben lediglich Repräsentationscharakter.

↔Das Interview führte

↔Dietlinde Terjung

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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