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Tiefer Riss durch Bayern-Koalition/Die Frage nach dem Hauptschuldigen ist gar nicht so einfach. Aiwanger hat die Nase vorn - und Söder schneidet sich auch tief ins eigene Fleisch.Christine Schröpf

Regensburg (ots)

Vom hartem Wahlkampf mit allen Bandagen bis zum Unterminieren der Bayern-Koalition ist es ein kurzer Weg. Der Impf-Streit zwischen Freien Wählern und CSU hat sich gefährlich hochgeschaukelt. Nebenwirkungen und massive Spätfolgen über den Bundestagswahltag hinaus: höchst wahrscheinlich. Die Koalition ist knapp drei Jahre nach dem Start auf einem Tiefpunkt angelangt. Es braucht keine Phantasie, um zu wissen, dass es nächstes Jahr mit wachsender Nähe zur Landtagswahl 2023 noch heftiger knirschen wird. Der Hauptschuldige im aktuellen Schauspiel ist gar nicht so einfach auszumachen: Regierungschef Markus Söder wie sein Vize und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger touchieren rote Linien.Seit Söder dem Koalitionspartner vor laufender Kamera ein Impf-Statement abnötigte, wird mit kurzen Atempausen wechselseitig eskaliert. Mit CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer fand sich ein Sekundant, der einen Koalitionsbruch nicht ausschloss und Aiwanger wenigstens den Rückzug als Vize-Regierungschef nahelegte. Das wäre einer Selbst-Demontage mitten im Bundestagswahlkampf gleichgekommen. Eine reine Provokation. Dennoch neigt sich in der Schuldfrage die Waage in Richtung Aiwanger. Befeuert vom Beifall der Impfskeptiker gefällt er sich immer mehr in der Rolle des Impfmärtyrers. Er inszeniert sich als Kämpfer für eine freie Entscheidung beim Impfen.Dabei hat er diesen respektablen Grund längst hinter sich gelassen. Im Deutschlandfunk schreckte er kürzlich auch andere vom Impfen ab. Ungeachtet einer auch von ihm für Herbst erwarteten nächsten Corona-Welle, spekulierte er über das Warten auf einen besseren Impfstoff. Er fabulierte von enormen Nebenwirkungen bei Menschen in seinem näheren Umfeld ("da bleibt einem schon das ein oder andere Mal die Spucke weg"), blieb gleichzeitig bewusst im Vagen. Absurderweise erklärte er Geimpfte zum vielleicht größeren Risiko als Getestete. Das ist schräg, widersprüchlich und fahrlässig.Es ist ein reines Lippenbekenntnis, dass Aiwanger parallel betont, dass er hinter der Impfkampagne steht. Er tut es nicht. Das erklärt den Ärger Söders, der den größten Widersacher in zentraler Position in seinem Kabinett hat. Wobei niemand von Aiwanger erwarten darf, dass er sich bei derart großen persönlichen Bedenken öffentlich an die Spitze der Impfbewegung stellt. Er könnte aber die Führung in einer echten Debatte über die Vor- und Nachteile übernehmen. Er steht mit seinen Bedenken ja nicht allein. Es gibt sie in der Bevölkerung in unterschiedlichen Schattierungen, nicht selten wohl überlegt.An zentralen Fakten ist dabei nicht zu rütteln: Impfen schützt zwar nicht vollständig vor einer Corona-Infektion. Un-Geimpfte starten allerdings immer mit Schutzfaktor Null in den Tag. Stattdessen auf Tests zu setzen, ist die potentiell riskantere Alternative - und zwar für die Betroffenen selbst: Die eigene Infektion lässt sich damit nicht verhindern, nur dass man das Virus ungewollt weiterträgt. Dennoch: Es gibt keine Impfpflicht. Es bleibt immer eine persönliche Abwägung. Diese Kernbotschaften werden ständig überlagert. Das liegt auch an Söder. Warum drängt er so unsensibel aufs Tempo, obwohl das Impfskeptiker als "gefühlte" Impfpflicht empfinden? Warum stellt er die Ständige Impfkommission so hart in Frage, wenn er die Wissenschaft als wichtigsten Maßstab sieht? Söder schubst Aiwanger ein wenig in die Märtyrerrolle. Das nutzt der Impfkampagne nicht - und schadet sicher der CSU. Aiwanger steigt bei Impfskeptikern in der Wählergunst, das Prozente-Konto der CSU schrumpft. Bleibt es bei diesem Kurs, bricht in der Bayern-Koalition nach dem 26. September erst richtige Eiszeit aus.

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