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Eine Belastungsprobe für uns Bayern
Ab morgen ist ganz Deutschland im Urlaub. In Bayern wird das zu Problemen führen. Denn man hat vielerorts zu lange zugeschaut. Von Andreas Brey

Regensburg (ots)

Deutschland einig Urlaubsland. Morgen starten in Baden-Württemberg und damit auch im letzten Bundesland die Sommerferien. Von Sonthofen bis Flensburg genießen mehr als zehn Millionen Schüler und wohl mindestens ebenso viele Eltern nach diesem kräftezehrenden Schuljahr die Auszeit. Da man im ersten Halbjahr 2020 lockdown-bedingt weiß Gott genug Möglichkeiten hatte, die nähere Umgebung zu erkunden, lockt die Ferne noch mehr. Große Lust, sich wie eine Ölsardine mit Mundschutz in einen Ferienflieger zu setzen, verspüren nur wenige. Um bis zu 80 Prozent könnte die Zahl der internationalen Reisen dieses Jahr sinken. So hat es zumindest die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen prognostiziert. Deshalb suchen viele Deutsche die Erholung im eigenen Land. Das lenkt den Blick auf Bayern. Denn nicht nur Ministerpräsident Markus Söder befindet sich im deutschlandweiten Umfragehoch, auch der Freistaat, den er regiert, ist die beliebteste Urlaubsregion der Republik. Deshalb müssen wir Bayern uns auf eine echte Belastungsprobe einstellen. Damit die Lage nicht eskaliert, müssen unvernünftigen Gästen klar die Grenzen aufgezeigt werden. Fakt ist: Seit Jahren kennt die Branche das Problem des "Overtourism": Wenn zu viele Touristen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sind, wird es den Einheimischen verständlicherweise irgendwann zu viel. Bisher kannte man das von Touristen-Hochburgen wie Mallorca. Doch die Pandemie hat das Problem zu uns verschoben. Je näher man den Alpen kommt, umso schlimmer wird es. Völlig zurecht wehren sich dort immer mehr Menschen in kleinen Dörfern gegen die unkontrollierte Flut an Touristen, die wie Heuschreckenschwärme über das Voralpenland herfallen. Allein die Zahlen der Gemeinde Walchensee zeigen, dass hier etwas aus der Balance geraten ist: 250 Einwohner, 600 Stellplätze, aber mehr als 4000 Autofahrer, die an einem Ausflugstag versuchen, hier zu parken. Die zuständigen Behörden haben zu lange zugeschaut. Hubert Aiwanger (FW), seines Zeichens Wirtschaftsminister und damit auch für den Tourismus zuständig, kam jetzt mit einem halbgaren Lösungsansatz um die Ecke. Digital - mittels eines "Ausflugstickers" - solle das Problem gelöst werden. Dumm nur, dass bisher erst etwa ein Dutzend Ziele darin erfasst sind. Und die liegen zudem alle am Alpenrand. Ein Unding! Bayern ist doch mehr als Tegernsee & Co. Der Minister will die Touristenströme lenken. Das ist vernünftig, aber nicht ausreichend. "Bad Steben statt Bad Wiessee" - das wäre mal ein Ansatz. Heilbad, Spielbank, regionale Küche, unberührte Natur. Das alles gibt es auch im Frankenwald. Zugegeben, bei Anzahl und Qualität der Hotels gibt es hier Nachholbedarf. Viel weiter ist man da in Ostbayern. Oberpfälzer Wald, Bayerischer Wald - dort wurden mit Augenmaß und Gefühl für Regionalität die Angebote für Besucher ausgebaut. Kein Wunder, dass die Oberpfalz bei den Gästeankünften im Juli 2019 unter allen Regierungsbezirken das dickste Plus (4,7 Prozent) verbuchte. In der ganzen Debatte dürfen wir eines nicht vergessen. Der Bayern-Tourismus ist ein gigantisches Geschäft: Mehr als 30 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, das ist etwa ein Drittel der Autoindustrie. Wenn es um solche Summen geht, sind Interessenskonflikte unausweichlich. Zu Beginn der Corona-Krise gab es eine neue Solidarität im Land. Doch davon ist wenig geblieben. Der Wunsch nach einem ungetrübten Urlaubserlebnis ist am Ende doch stärker als der Respekt vor Mit-Touristen, Einheimischen und der Natur. Eine Orientierungshilfe, wie viele Menschen bestimmten Regionen zugemutet werden dürfen, kann die Wissenschaft liefern. Tourismus-Experte Prof. Martin Lohmann brachte es einmal schön auf den Punkt: "Der Tourist ist in erster Linie nicht Opfer des 'Overtourism', sondern Täter." Recht hat er! Wir Bayern müssen hier mancherorts laut "Stopp" schreien. Es müssen nicht alle nach Rottach-Egern fahren. Es gibt auch andere tolle Plätze zum Urlaub machen.

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