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Mittelbayerische Zeitung: Richtig hinlangen
Die Länder drängen auf eine Verschärfung des Strafrechts. Was es aber braucht, ist eine umfassende Reform. Leitartikel von Marianne Sperb

Regensburg (ots)

Niemand darf mein Haus betreten, ohne dass ich es erlaube. Niemand darf in meine Handtasche greifen, ohne dass ich es gestatte. Aber jeder darf meinen Körper begrapschen, ohne mein Einverständnis zu haben. Der nackte Wahnsinn? So ungefähr sieht jedenfalls die aktuelle bundesrepublikanische Gesetzeswirklichkeit aus. Der fehlende Grapscher-Paragraf ist nur ein Punkt in der Liste von Empfehlungen, die die Länder der Bundesregierung jetzt als Hausaufgabe aufgeben. Kern der Forderungen ist besserer Schutz vor Vergewaltigung. Die Reform ist die Chance, Rechtsgefühl und Gesetz ein Stück näher zusammen zu bringen. Aber der Teufel steckt im Detail. Und es braucht mehr als wieder ein Stückchen Paragrafen-Kosmetik. Berlin hat das Sexualstrafrecht in den vergangenen Jahren stärker als so ziemlich jedes andere Recht verschärft. Der Gesetzgeber hat unbegreifliche Lücken geschlossen, den Schutz potenzieller Opfer verbessert. Aber die Neuerungen haben auch die heikle Frage aufgeworfen, wo der Privatbezirk endet und der Rechtsbereich beginnt. Schön zu besehen ist das am Fall Edathy: Nachdem 2013 bekannt wurde, dass MdB Sebastian Edathy (SPD) Nacktfotos von Jungen gekauft hatte, reformierte Berlin das Gesetz. Das Verbot für den Verkauf von Nackt-Aufnahmen wurde enger gefasst - und prompt eine Debatte über die Kriminalisierung von privaten Familien-Aufnahmen ausgelöst. Das Sexualstrafrecht: ein komplizierter Dschungel an Paragrafen, die oft nur schwer nachzuvollziehen sind. Exhibitionismus zum Beispiel ist in Deutschland nur für Männer strafbar. "Als Frau dürfen Sie bei Ihrem Nachbarn klingeln und den Bademantel öffnen. Er könnte sie dafür nicht anzeigen. Aber wenn der Nachbar zu Ihnen rüberkommt und den Mantel öffnet, ist das strafbar", so Alexander Stevens, Münchner Anwalt für Sexualstrafrecht, 2016 in einem Interview. Oder sexuelle Übergriffe bei Schülern: Vor der jüngsten Reform von 2015 war der Missbrauch durch Lehrer strafbar - nicht aber der Missbrauch durch Vertretungslehrer. Die aktuelle Reform kann endlich Lücken schließen, deren Existenz der Nicht-Jurist lange gar nicht für möglich gehalten hätte. Nein heißt Nein: Das versteht sich eigentlich von selbst. Bisher gehört zur Vergewaltigung aber akute Bedrohung. Der Täter muss Gewalt anwenden, das Opfer um sein Leben fürchten. Wenn das nicht nachweisbar sind, geht der Täter straffrei aus. Künftig soll es allein auf den erkennbaren Willen des Opfers ankommen. Nein heißt Nein: Auch dann, wenn Opfer "nur" weint oder stumm und geschockt die Tat über sich ergehen lässt. Nicht Ja heißt auch Nein: Die Reform soll Grapschern das Handwerk legen. Bisher existiert der Straftatbestand "sexuelle Belästigung" in Deutschland nicht. Künftig wird der ungefragte Griff an Brust, Po oder in den Schritt unter Strafe gestellt. Die geplanten Änderungen haben gute Chancen auf Umsetzung. Die Länder sind sich in ihren Empfehlungen einig, die Reihen von der Linkspartei bis zur Union präsentieren sich ungewohnt geschlossen. Und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat bereits seine Bereitschaft signalisiert, seinen Entwurf zu verschärfen. Der Bundestag wird sich nun erneut mit dem Maas-Papier befassen und dabei auch wieder, wie nach dem Fall Edathy, heikle Fragen abwägen müssen. Wann ist ein Nein nachweisbar? Oder: Öffnet die Reform Falschanzeigen die Tür? Die aktuellen Empfehlungen der Länder sind nur ein erster Schritt. Die nackte Wahrheit ist: Das Sexualstrafrecht braucht eine grundlegende Überarbeitung. Im Herbst soll eine Expertengruppe einen umfassenden Report vorlegen. Damit endlich auch gesetzlich festgeschrieben wird: Niemand darf über meinen Körper verfügen, wenn ich es nicht gestatte.

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