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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Frankreich/Wahl von Stefan Stark

Regensburg (ots)

Adieu Nicolas Sarkozy - auf Wiedersehen, Merkozy: Die Franzosen stimmten gestern mit ihren Wahlkreuzchen gleich zweimal ab: Sie haben nämlich nicht nur ihren Präsidenten abgewählt, sondern auch dem Euro-Rettungstandem zwischen Paris und Berlin die rote Karte gezeigt - möglicherweise mit spürbaren Folgen für das künftige Krisenmanagement von Angela Merkel. Es war zwar damit zu rechnen, dass unsere Nachbarn ihren Präsidenten aus dem Élysée-Palast vertreiben würden. Bemerkenswert ist aber der eindrucksvolle Vorsprung von François Hollande. Der Erdrutschsieg des Herausforderers vor dem Amtsinhaber bedeutet ein klares Misstrauensvotum für Sarkozy. Von der einstigen Hassliebe, die viele Franzosen einst für ihn empfanden, ist nur noch die Abneigung geblieben. Seine Versuche, im Wahlkampfendspurt am rechten Rand auf Stimmenfang zu gehen, sind gescheitert. Und zwar nicht nur, weil ihm die Rechtsextreme Marine Le Pen und der Zentrumspolitiker François Bayrou die Unterstützung verweigerten. Sondern auch, weil sich viele Franzosen vom Populismus ihres Präsidenten angewidert abwendeten. Sarkozy ist das bislang prominenteste Opfer der Eurokrise. Dahinter steckt eine bittere Ironie. Denn heute kann man die berechtigte Frage stellen, ob es ohne das deutsch-französische Tandem überhaupt zu einem Euro-Krisenmanagement gekommen wäre. Und ob es die Gemeinschaftswährung überhaupt noch gäbe, hätte sich das eigentlich so ungleiche Paar nicht so perfekt ergänzt: Er der Hyperaktive, der bei Krisen zur Höchstform aufläuft - sie, die Abwartende, die seinen Übereifer bremste. Einst stürzte Sarkozy gemeinsam mit Merkel europäische Regierungen, die sich dem deutsch-französischen Spardiktat nicht beugten. Jetzt ist er selbst gefallen - verheddert im Netz der Rettungsschirme und der Malaise in seinem Land. Denn seine Präsidentschaft geriet schnell in den Strudel der Banken- und dann der Schuldenkrise. Frankreich wurde davon hart getroffen - auch, weil es dort nie so etwas wie eine Agenda 2010 gab. Wie wenig die Franzosen von Sozialreformen halten, zeigten sie zuletzt, als sie gegen die Heraufsetzung des Rentenalters von 60 (!) auf 62 Jahre protestierten. Die Grande Nation wird geplagt von hoher Arbeitslosigkeit, wachsender Verelendung in den Vorstädten, einer Jugend, die sich um ihre Zukunft betrogen fühlt. Demgegenüber stehen horrende Staatsausgaben, von denen weder die kleinen Leute noch die Mittelschicht profitieren. Viel Geld versickert in wirtschaftlichem Protektionismus und im Versuch, all den alten imperialen Pomp zu erhalten. Daher wurde der Wahlkampf auch von einer Gerechtigkeitsdebatte bestimmt, bei der sich Sarkozy und Hollande mit Reformvorschlägen überboten. Hier sammelte der Herausforderer Punkte. Ihm, dem Sozialisten, glaubten die Bürger mehr als dem Präsidenten mit seinem Image als Freund der Reichen. Also sagen wir Bonjour zu François Hollande. Er ist mit großen Versprechen angetreten, wie einst sein Vorgänger auch. Doch viel mehr lastet auf ihm die Erwartung, einem Land die Hoffnung zurückzugeben, dem die Spaltung droht. Der Erfolg des Front National setzt den neuen Präsidenten enorm unter Druck. Er wird schnell Ergebnisse präsentieren müssen, vor allem im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Mit einer rigiden Sparpolitik wird er das jedoch nicht erreichen. Genau hier wird der zentrale Konfliktpunkt mit der Kanzlerin deutlich. Einen Bruch der deutsch-französischen Achse wird es nicht geben, weil sich beide als Ankerländer der EU gegenseitig brauchen. Doch für Merkel wird es mit Hollande ungleich schwerer werden, ihre Vorstellungen bei der Euro-Rettung durchzusetzen. Die Rezepte, die in Deutschland funktionieren, können anderswo kläglich versagen - wie die Franzosen gerade in ihrem südlichen Nachbarland Spanien erleben. Die Kanzlerin und der Präsident werden sich trotzdem aufs neue Tandem namens Merkollande setzen - wo die eine strampelt und der andere bremst. Falls sie dabei nicht vom Fleck kommen, gerät der Euro unter die Räder und Deutschland unter noch stärkeren finanziellen Druck. Merkel wird Sarkozy noch sehr vermissen.

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