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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Mittelbayerische Zeitung" (Regensburg) zur Sicherungsverwahrung

Regensburg (ots)

Der junge Mann kannte keine Gnade. Er schleifte die 31-jährige Joggerin Margit Ruhstorfer nahe der bayerischen Stadt Kelheim an einem Stahlseil in den Wald. Er drosselte und würgte sein Opfer und drückte ihm einen Ast an den Hals. Dann verging sich der Täter an der jungen Frau - eine letzte Demütigung, bevor sie starb. Ein Jahr später wurde der Mörder gefasst. Das Landgericht Regensburg verurteilte ihn zur Höchststrafe. Zehn Jahre später. Ein nicht mehr ganz junger Mann hat seine Haftstrafe vollständig verbüßt. Kurz vor der ersehnten Entlassung verwehrt ihm ein neues Gesetz die Freiheit. Der Mann bleibt hinter Schloss und Riegel - für Taten, die er nicht begangen hat, sondern eventuell begehen könnte. In beiden Fällen handelt es sich um den selben Mann: Hier der eiskalte Sexualmörder Daniel I., der nicht nur ein Menschenleben ausgelöscht, sondern das Leben einer ganzen Familie von einem Tag auf den anderen verdunkelt hat. Der Vater von Margit Ruhstorfer hat es gestern treffend so ausgedrückt: "Wir haben alle lebenslänglich". Und auf der anderen Seite der Verbrecher Daniel I., der seine Tat offiziell gesühnt hat und dessen Fall jetzt viele Menschen, nicht nur Juristen, über das nachdenken lässt, was Gerechtigkeit bedeutet. Und über das, was im Zweifelsfall schwerer wiegt: Gerechtigkeit oder Sicherheitsgefühl, erzeugt durch vorsorgliches Wegsperren von Straftätern, die ihre Strafe verbüßt haben. Dass man die Lösung dieser heiklen Frage nicht Politikern mit gelegentlichem Hang zu kernigen Sprüchen, von Gerhard Schröder ("Wegsperren!") bis Stefan Mappus überlassen sollte, hätte man sich denken können. Aber sogar besonnene Gemüter wie die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigten sich noch bis vor kurzem davon überzeugt, dass die Sicherungsverwahrung für rückfallgefährdete Schwerverbrecher verfassungsrechtlich Bestand habe. Ein kollektiver Irrtum. Die Karlsruher Richter haben mit ihrem Urteil wieder ein Stück Gerechtigkeit hergestellt. Denn egal wie Volksempfinden, Boulevardpresse und populistische Politiker tönen: Gesetze gelten für alle, auch für Verbrecher, so schwer diese Einsicht im Fall von Daniel I. auch fallen mag. Ein Gesetzbuch und eine Verfassung sind nichts wert, wenn bestimmte Personengruppen davon ausgenommen werden. Das Urteil bedeutet nicht, dass jetzt entlassene Schwerverbrecher mit schlechter Sozialprognose die Straßen unsicher machen. Die Verfassungsrichter haben es sich mit ihrem Urteilsspruch nicht leicht gemacht, und das ist gut so. Sie haben das kategorische "oder" in der Frage "Gerechtigkeit oder Sicherheitsgefühl?" durch ein "und" ersetzt und daraus einen klugen Kompromiss geschmiedet - und die Politik dringend dazu aufgefordert, den Richterspruch in ein vernünftiges Gesetz umzusetzen, das auch vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte Bestand hat. Der Preis für Gerechtigkeit und Sicherheit ist freilich hoch: Bis in zwei Jahren müssen Einrichtungen gebaut werden, die dem höchstrichterlich geforderten Ziel der Wiedereingliederung genügen müssen, mit Personal, das eine fachgerechte Therapie sicherstellt - wie sie etwa im Fall Daniel I. offensichtlich versäumt worden ist. Und es muss dafür gesorgt werden, dass auch für Therapie-ungeeignete Täter ein abgeschlossener Ort gefunden wird, der die Menschen draußen ruhig schlafen lässt und trotzdem die Menschenwürde nicht verletzt - auch wenn den Verbrechern bei ihren Taten die Menschenwürde ihrer Opfer egal war.

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