Zur Debatte um Arbeitszeiten: „Wir brauchen einen kürzeren Vollzeitstandard“
Zur Debatte um Arbeitszeiten
„Wir brauchen einen kürzeren Vollzeitstandard“
Die individuellen Arbeitszeiten der Deutschen sinken: 2023 lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 34,6 Stunden. Gleichzeitig waren mehr Menschen erwerbstätig und in Folge dessen wurde von den Beschäftigten mehr Arbeitszeit erbracht als jemals zuvor seit der Wiedervereinigung. Zu diesen Ergebnissen kommt der aktuelle Arbeitszeitmonitor von Dr. Angelika Kümmerling vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Im Fokus: Die immer größer werdende Gruppe der Teilzeitbeschäftigten.
Der jährliche Arbeitszeitmonitor des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) basiert auf der European Labour Force Survey (Arbeitskräfteerhebung). Für die Arbeitszeitanalyse hat Dr. Angelika Kümmerling die Angaben aller abhängig Beschäftigten in Deutschland im Alter von 20 bis 65 Jahren ausgewertet. Betrachtet wurde der Zeitraum 2012 bis 2023.
Die wichtigsten Ergebnisse: Zwar sank die individuelle Arbeitszeit von 34,9 Stunden (2012) auf 34,6 Stunden (2023) in der Woche. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Beschäftigten (mit Ausnahme der Coronajahre) kontinuierlich an: Waren es 2012 noch rund 37,5 Millionen abhängig Beschäftigte, zählte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Jahr 2024 schon 42,3 Millionen Beschäftigte. Auch die Anzahl der gesamtgesellschaftlich geleisteten Arbeitsstunden erhöhte sich (2015: 51.811 Mio., 2023: 54.592 Mio. Stunden). Sie verteilt sich allerdings auf mehr Köpfe.
Die geschlechtervergleichende Analyse zeigt: Insbesondere Männer haben in den letzten Jahren ihre Arbeitszeiten verkürzt. Sie arbeiteten 2023 durchschnittlich 1,1 Stunden weniger als 2012. Außerdem zeigte sich ein Trend zu kürzerer Vollzeit (2012: 40,7 Stunden; 2023: 39,8 Stunden). Für Teilzeitbeschäftigte sind die Befunde gegenläufig: Arbeiteten sie 2012 noch durchschnittlich 18,9 Stunden, waren es 2023 bereits 22,3 Stunden. Auch der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an der Gesamtbevölkerung erhöhte sich kontinuierlich von 27,2 % (2012) auf 30,9 % (2023).
„Teilzeitarbeit ist damit längst kein ,Mütterarbeitsmodell‘ mehr“, so Arbeitssoziologin Dr. Angelika Kümmerling. „Sie wächst aktuell vor allem in Beschäftigtengruppen, in denen Teilzeitarbeit lange Zeit nicht verbreitet oder sogar unvorstellbar war.“ Laut ihrer Analyse nehmen insbesondere die Gruppe der Väter, Hochqualifizierte und Jüngere sowie Beschäftigte ohne Kinderbetreuungsverpflichtungen im mittleren Alter zunehmend die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung wahr. „Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse erscheint die politische Debatte um eine Verlängerung der Arbeitszeit oder eine Erhöhung der Tageshöchstarbeitszeit an den Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung vorbeizugehen.“
In Zeiten des demografischen Wandels und ansteigender Lebensarbeitszeiten könnte im Gegenteil ein neuer, kürzerer Vollzeitstandard die Lösung sein. Ein solches Modell würde Beschäftigten mit Sorgeverpflichtung eine bessere Vereinbarkeit ermöglichen. Auch Personengruppen, die dem Arbeitsmarkt sonst nicht zur Verfügung stehen, zum Beispiel aufgrund physischer Einschränkungen, könnten so eher eine Erwerbsarbeit aufnehmen. „In der Summe wäre die individuelle Erwerbsarbeitszeit zwar kürzer, dies würde aber durch die höhere Anzahl Erwerbstätiger kompensiert, wie wir es in den Zahlen bereits jetzt sehen,“ so das Fazit der Wissenschaftlerin.
Weitere Informationen:
Angelika Kümmerling, 2025: Individuell weniger, aber in der Summe mehr: Die Entwicklung der Erwerbsarbeitszeiten in Deutschland. Ein IAQ-Arbeitszeitmonitor. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2025-10.
Dr. Angelika Kümmerling, Institut Arbeit und Qualifikation, angelika.kuemmerling@uni-due.de
Redaktion: Katja Goepel, Pressereferentin IAQ, Tel. 0203/37 91836, katja.goepel@uni-due.de
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