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WAZ: Vor der Wahl Merkels zur Kanzlerin: Vorarbeiterin in der Deutschland AG - Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Morgen wird Angela Merkel gewählt. Zum ersten Mal in
der deutschen Geschichte hat dann eine Frau das mächtigste Amt inne.
Es liegt etwas von Bruch in der Luft, von Zeitenwende sogar.
Ist es ein Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann regiert? Ganz
gewiss. Wir, Chronisten wie Interpretierer, werden etwa die
Erschöpfungszustände ihres Dreiwetter-Taft-Lebens (London, Paris, New
York . . .) anders dokumentieren als die ihres Vorgängers. Schröders
Faltentiefe zeugte vom heroischen Kampf für Deutschland, bei Merkel
könnten es Symptome der Krise dieser seltsamen Not- Koalition sein,
die sie führt.
Merkel hat dann das mächtigste Amt, aber hat sie auch die Macht?
Der Kanzler hat die Richtlinienkompetenz. Aber kann es in einer
großen Koalition Richtlinienkompetenz überhaupt geben? Und dann: Von
Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, zeugt stets auch von der
Schwäche, davon Gebrauch machen zu müssen. Schließlich: die eigene
Stärke hängt stets ab von der tatsächlichen, und, was wichtiger sein
kann, der wahr genommenen Schwäche der anderen Seite. Stets, wenn
Merkel sich durchsetzt, wird die SPD überlegen, ob nicht die Zeit
reif ist für Neuwahlen.
Wieviel Macht Merkel jenseits ihrer formalen Autorität als
Kanzlerin hat, wird sich erst erweisen. Noch nie war ein
Regierungschef derart umzingelt: eingezwängt zwischen einer starken
Bürokratie und einer unerbittlichen Lobby (beide können, ohne dass
dies bemerkt wird, einen Gesetzentwurf in sein Gegenteil umkehren),
belauert von den Partei-Strategen der SPD und den Machttaktikern
ihrer eigenen Partei.
Mit Merkel zieht ein neuer Stil ins Kanzleramt ein. Nach Innen
mehr aufs Überzeugen gegründet denn aufs Überreden. Nach Außen mehr
auf Bescheidenheit. Man weiß noch nicht, wie Merkel an einer
Ehrenformation vorbei -läuft, schreitet? Ihre Biografie ließ ihr
keine Gelegenheit dazu.
Deutschland wird regiert von einer Frau aus Ostdeutschland. Dazu
passt die durchgehende Desillusionierung, für die der
Koalitionsvertrag steht. Wenig Aufbruch, schon gar kein „Projekt”.
Viel glanzlose Arbeit. Die Kanzlerin Merkel als erste Vorarbeiterin
in der krisengeschüttelten Deutschland AG – mal sehen. Glückauf
jedenfalls.

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