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WAZ: Politik in Ostdeutschland - Sehnsucht nach Autoritäten. Leitartikel von Norbert Robers

Essen (ots)

In den frühen 90er-Jahren, die Wiedervereinigung
Deutschlands war soeben vollbracht, hatten die politischen Beobachter
alle Mühe, den Überblick über die Skandale und Wirrungen in den fünf 
neuen Ländern zu behalten. Gomolka, Gies, Duchac, Münch, Bergner: Die
Ministerpräsidenten kamen und gingen, mal wegen politischer 
Erfolglosigkeit, mal wegen parteiinterner Querelen, mal wegen 
handfester Stasi-Vorwürfe. Es folgte die Periode der West-Importe, 
die mit der gestrigen Wahl Stanislaw Tillichs zum sächsischen 
Regierungschef beendet ist: Erstmals seit 1990 stehen in allen neuen 
Ländern ehemalige DDR-Bürger an der Spitze. Der Osten regiert sich 
selbst.
Ein normaler Vorgang? Sicherlich. Wir sind schließlich im 19. 
Jahr der Einheit. Dennoch: Der Osten ist anders. Immer noch und aus 
guten Gründen. Die meisten Ostdeutschen werden es vermutlich schnell 
wieder vergessen, dass sie jetzt einzig und allein von Ossis regiert 
werden. Die Ostdeutschen halten weniger Ausschau nach Führungsfiguren
aus den "eigenen Reihen". Sie interessieren sich auch weniger für 
Wahlprogramme und Visionen. Fast 60 Jahre Diktatur haben tiefe 
Furchen hinterlassen: Die Skepsis gegenüber den Parteien ist ebenso 
ungebrochen wie die Neigung, sich Autoritäten anzuvertrauen. Sie 
sehnen sich nach Führungspersönlichkeiten, nach charismatischen, 
gerne auch übermächtigen Landesvätern. Nach Typen wie Kurt 
Biedenkopf, Manfred Stolpe oder Bernhard Vogel, die Zielstrebigkeit 
und Durchsetzungsfähigkeit ausstrahlen. Daran mangelte es auch 
Tillichs Vorgänger Milbradt - nicht zuletzt daran ist er gescheitert.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben aller ostdeutschen 
Politiker, das Vertrauen der Sachsen, der Thüringer oder der 
Brandenburger in die Demokratie zu bestärken. Die Zufriedenheit mit 
der Demokratie ist im Osten seit 1990 erheblich gesunken, die Kluft 
zwischen West- und Ostdeutschland ist in dieser Frage größer 
geworden. Die Gründe liegen auf der Hand: Der versprochene Aufschwung
lässt auf sich warten, viele Ostdeutsche fühlen sich noch immer wie 
zweitklassig behandelt, was sie drittens an der Gerechtigkeit des 
Systems zweifeln lässt. Das bietet Spielraum für Populisten.
Es ist wenig hilfreich, dass sich viele Westdeutsche bei der 
Ursachenforschung für das zum Teil schwierige Miteinander damit 
begnügen, den Landsleuten im Osten fehlende Dankbarkeit oder 
DDR-Nostalgie vorzuwerfen. Der Systemwechsel, die Geschwindigkeit der
Veränderungen sind enorme Stressfaktoren, die viele Menschen fordern 
und überfordern - bis heute.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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