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EKD - Evangelische Kirche in Deutschland

"Kein Gesetz um jeden Preis" Prälat Reimers zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen

Hannover (ots)

"Eine rechtliche Verankerung von
Patientenverfügungen ist zu begrüßen, wenn sie den Betroffenen 
Rechts- und Verhaltenssicherheit gibt. Allerdings darf es nicht darum
gehen, ein Gesetz um jeden Preis zu verabschieden." Dies sagte der 
Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 
(EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, 
Prälat Stephan Reimers, mit Blick auf die aktuellen Beratungen im 
Deutschen Bundestag zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen am 
Mittwoch in Berlin. Wenn es nicht möglich sein sollte, die in diesem 
Bereich erforderlichen Qualitätsstandards rechtlich zu verankern, 
sollte von einem Gesetzesvorhaben abgesehen werden, so Reimers. Den 
Anliegen des Rates der EKD komme am ehesten der Gesetzentwurf der 
Gruppe um den Abgeordneten Wolfgang Bosbach nahe.
"Dieser Entwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er den schonenden 
Ausgleich zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge in den Vordergrund 
stellt", begründete Reimers die grundsätzliche Zustimmung des Rates 
zum Bosbach-Text. Die darin enthaltenen detaillierten Regelungen 
entsprächen der Komplexität und der Tragweite der zu treffenden 
Entscheidungen. Allerdings äußerte Reimers auch Vorbehalte. Zwar sei 
die von Bosbach beabsichtigte Einführung einer vorsorgenden 
Vollmacht, also der Einsatz eines Bevollmächtigten, zu begrüßen. Da 
der Entwurf aber keine über geltendes Recht hinausgehenden 
Kompetenzen für den Bevollmächtigten vorsehe, werde eine von der EKD 
für notwendig erachtete Stärkung der Rolle des Bevollmächtigten damit
nicht erreicht. Ein weiterer Kritikpunkt, so Reimers, sei das 
Erfordernis einer ärztlichen Beratung vor dem Abfassen einer 
qualifizierten Patientenverfügung. "Damit wird suggeriert, dass eine 
solche Patientenverfügung keiner Auslegung bedarf." Außerdem bedeute 
eine verpflichtende Beratung eine "hohe zusätzliche Hürde", die 
Menschen davon abhalten könnte, überhaupt eine Patientenverfügung zu 
verfassen. Ähnliches gelte für die im Entwurf vorgesehene notarielle 
Beurkundung einer qualifizierten Verfügung. In diesem Punkt sei zu 
fragen, "warum nicht auch ein Rechtsanwalt oder Beratungsstellen beim
Verfassen von Patientenverfügungen hinzugezogen werden können".
"Problematische Folgen" hätte nach Ansicht des Rates der EKD 
sowohl die Umsetzung des Gesetzentwurfs der Gruppe um den 
Abgeordneten Joachim Stünker, wie auch die Realisierung der 
Vorschläge der Gruppe um den Parlamentarier Wolfgang Zöller, 
unterstrich der Prälat. Gegen letzteren Entwurf spreche zum einen, 
dass er die Schriftform von Patientenverfügungen nicht vorschreibt. 
Außerdem würde das von Wolfgang Zöller angestrebte Gesetz "ohne 
sachliche Notwendigkeit die Stellung und Interpretationshoheit der 
Ärzte" stärken und "die Bedeutung von Vertrauenspersonen 
untergraben". Beiden Entwürfen sei entgegenzuhalten, dass sie die 
Stellung des Bevollmächtigten oder Betreuers nicht hinreichend ernst 
nähmen, sagte Reimers. "Gerade angesichts der Unausweichlichkeit der 
Auslegung nahezu jeder Festlegung einer Patientenverfügung sollte die
Möglichkeit stärker herausgestellt werden, auf eine sehr detaillierte
Patientenverfügung zu verzichten und sich darauf zu beschränken, 
einen Bevollmächtigten einzusetzen und mit ihm immer wieder zu 
besprechen, was gewollt ist und was nicht." Keinesfalls akzeptabel 
sei zudem die in beiden Entwürfen vorgesehene Möglichkeit, dass die 
in der Verfügung getroffenen Festlegungen unabhängig von Art und 
Stadium einer Erkrankung der betroffenen Person gelten sollen.
Berlin, 18. Dezember 2008
Pressestelle der EKD
Karoline Lehmann
Votum des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der 
Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union
zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung
Seit Jahren ist die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen 
Gegenstand intensiver Beratungen und Auseinandersetzungen. Auch die 
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich in mehreren 
Veröffentlichungen zu diesem Thema geäußert und Stellung bezogen. Die
Kirchen haben mit der "Christlichen Patientenverfügung", die seit 
ihrer Veröffentlichung im Jahr 1999 an über 2,9 Millionen Menschen 
abgegeben wurde, viel dafür getan, das Instrument der 
Patientenverfügung bekannt zu machen und zu stärken. Auch daher rührt
das besondere Interesse der Kirchen an dem Gesetzgebungsverfahren.
Die EKD unterstützt die Bemühungen um eine rechtliche Regelung der 
Patientenverfügung, wenn diese den Patienten, Angehörigen, Betreuern,
Bevollmächtigten und Ärzten mehr Rechts- und Verhaltenssicherheit 
gibt. Es kann nicht darum gehen, ein Gesetz um jeden Preis zu 
verabschieden. Wenn es nicht möglich sein sollte, die für diesen 
Sachverhalt erforderlichen Qualitätsstandards rechtlich zu verankern,
sollte von dem Gesetzesvorhaben Abstand genommen werden. Es gilt 
weiterhin zu berücksichtigen, dass selbst das detaillierteste Gesetz 
nicht wird verhindern können, dass es an den Grenzen des Lebens zu 
ethischen Dilemmata kommt. Auch sollte das Bewusstsein wach gehalten 
werden, dass ein Gesetz - wie immer es ausfällt - die Menschen nicht 
davon befreit, im konkreten Fall selbst persönliche Verantwortung zu 
übernehmen.
Mit dem Vorliegen von drei fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen 
ist ein Zeitpunkt erreicht, für die EKD Stellung zu beziehen. 
Anknüpfungspunkte für die weitere Arbeit sieht der Rat nur bei dem 
Gesetzentwurf der Gruppe um den Abgeordneten Wolfgang Bosbach. Dieser
Entwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er den schonenden Ausgleich 
zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge in den Vordergrund stellt und 
so am besten den Anliegen des Rates der EKD, wie sie in den am 22. 
Juni 2007 veröffentlichten "Eckpunkten für eine gesetzliche Regelung 
von Patientenverfügungen" formuliert wurden, gerecht wird. Der 
Komplexität und der Tragweite der zu treffenden Entscheidungen 
entspricht es, dass der Entwurf detaillierte Regelungen vorsieht. 
Dahinter steht die Überzeugung, dass der Gesetzgeber die Hürden für 
eine Patientenverfügung hoch setzen sollte, solange es 
verfassungsrechtlich umstritten ist, in welchen Fällen eine 
Reichweitenbegrenzung legitim ist. Allerdings bleiben gegenüber dem 
Gesetzentwurf auch Vorbehalte:
a)	Der Gesetzentwurf setzt sich in seinem Begründungsteil auf S. 
13-20 in großer Gründlichkeit mit Rolle und Reichweite der 
menschlichen Selbstbestimmung und ihrem Verhältnis zur staatlichen 
Schutzpflicht des Lebens (Art. 2 Abs. 2 GG) auseinander. Dabei kommt 
noch nicht genügend zur Geltung, dass die Handlungsmöglichkeiten, mit
denen Selbstbestimmung ausgeübt wird, weiter reichen, als vielfach 
wahrgenommen wird. Die Übertragung der Entscheidungsvollmacht an 
einen Bevollmächtigten oder - in anderer Weise - einen Betreuer 
erfüllt z.B. nicht minder die Bedingungen, die an selbstbestimmtes 
Handeln angelegt werden müssen. Der Gesetzentwurf der Abgeordneten 
Wolfgang Bosbach et al. sollte diese Überlegungen in seinem 
Begründungsteil stärker aufgreifen und mit ihnen insbesondere die 
Handlungsoption der Einsetzung eines Bevollmächtigten stützen.
b)	Im Gesetzentwurf wird in § 1901 a Abs. 1 das Institut der 
vorsorgenden Vollmacht - wie statt der Rede von der Einsetzung eines 
Bevollmächtigten korrekter formuliert werden sollte - zwar eigens 
eingeführt und definiert, aber eine Stärkung wird dadurch nicht 
bewirkt, denn es bleibt grundsätzlich bei den Kompetenzen des 
Bevollmächtigten, die das geltende Recht vorsieht (S. 26f). Damit 
wird die Chance vergeben, das Institut der vorsorgenden Vollmacht 
hervorzuheben und ihm eine eigene Bedeutung gegenüber der 
Betreuungsverfügung zu geben. Zwar wird im Begründungsteil darauf 
hingewiesen, dass die vorsorgende Vollmacht "durchgängig als 
Alternative zur Patientenverfügung verstanden wird" (S. 29), aber es 
wird darauf verzichtet, dies näher z.B. in dem Sinne auszuführen, 
dass es einem Patienten frei steht, ob er selbst in einer 
differenzierten Patientenverfügung Wünsche zu seiner Behandlung 
äußert oder sich darauf beschränkt, einen Bevollmächtigten zu 
benennen, der seinen Willen interpretieren und zur Geltung bringen 
soll. Gerade weil der Gesetzentwurf sich bemüht, Selbstbestimmung und
Lebensschutz in einem schonenden Ausgleich miteinander zu verbinden, 
sollte die Rolle des Bevollmächtigten anders gewichtet werden.
c)	Das Erfordernis einer ärztlichen Beratung vor der Abfassung 
einer qualifizierten Patientenverfügung suggeriert die falsche 
Sicherheit, dass eine Patientenverfügung, die die Bedingung der 
ärztlichen Beratungspflicht erfüllt und demgemäß unter voller 
Berücksichtigung allen verfügbaren medizinischen Wissens ausgestellt 
wurde, keiner Auslegung bedarf. Dabei wird jedoch verkannt, dass eine
Patientenverfügung stets auf Interpretation angewiesen ist. Hinzu 
kommt, dass eine Beratungspflicht - selbst wenn die Kosten durch die 
Krankenkassen übernommen werden - eine hohe zusätzliche Hürde 
aufrichtet, die viele Menschen eher abhalten dürfte, überhaupt eine 
Patientenverfügung auszustellen. Zwar ist eine ärztliche Beratung vor
und bei der Abfassung einer Patientenverfügung dringend zu empfehlen,
um sich größere Klarheit über die eigenen Absichten und Wünsche im 
Blick auf die Anwendung lebenserhaltender und lebensverlängernder 
Maßnahmen zu verschaffen, aber sie zur Pflicht zu erheben fördert die
Inanspruchnahme dieses Instruments nicht.
d)	Der Gesetzentwurf sieht - neben der Pflicht zur ärztlichen 
Beratung - auch eine Pflicht zur notariellen Beurkundung bei der 
qualifizierten Patientenverfügung vor. Im Ergebnis bedeutet dies, 
dass die Schwellen auf dem Weg zu einer Patientenverfügung höher 
werden: im Aufwand, im Grad der Formalität und finanziell. Auch ist 
zu fragen, ob die Aktualisierungspflicht nach 5 Jahren nicht an der 
Lebenswirklichkeit gerade älterer Menschen vorbeigeht. Insofern 
dürften diese Erfordernisse für viele Menschen eine zusätzliche Hürde
darstellen. Unklar bleibt schließlich, worin der Nutzen einer 
notariellen Beurkundung liegen sollte. Es ist zu fragen, warum 
anstelle eines Notars nicht auch ein Rechtsanwalt oder 
Beratungsstellen, die im Blick auf Patientenverfügungen kundig sind, 
beim Verfassen von Patientenverfügungen hinzugezogen werden können.
Der Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Joachim Stünker ist 
dadurch gekennzeichnet, dass er das Selbstbestimmungsrecht zum 
Ankerpunkt der gesamten Argumentation macht und dadurch 
problematische Folgen hervorruft. Der Entwurf der Gruppe um den 
Abgeordneten Wolfgang Zöller stärkt ohne sachliche Notwendigkeit die 
Stellung und Interpretationshoheit der Ärzte und untergräbt die 
Bedeutung der Vertrauenspersonen. Beiden Entwürfen ist aus Sicht der 
EKD Folgendes entgegen zu halten:
a)	Im Blick auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von 
Patientenverfügungen muss es als problematisch angesehen werden, wenn
(wie bei Zöller) die Schriftform für Patientenverfügungen nicht 
vorgeschrieben wird. Die Schriftform garantiert höhere Objektivität, 
verringert die Gefahr von Missverständnissen und bietet Schutz vor 
übereilten Entscheidungen.
b)	Die Stellung des Bevollmächtigten/Betreuers wird nicht 
hinreichend ernst genommen, wenn (wie bei Zöller) zuerst "der Arzt 
prüft, welche Behandlungsmaßnahme indiziert ist", bzw. wenn (wie bei 
Stünker) die Aufgabe des Bevollmächtigten auf die Prüfung beschränkt 
wird, ob die Festlegungen der Patientenverfügung auf die aktuelle 
Situation zutreffen. Damit wird die Chance vergeben, das Institut der
vorsorgenden Vollmacht hervorzuheben und ihm eine eigene Bedeutung 
gegenüber der Betreuungsverfügung zu geben. Gerade angesichts der 
Unausweichlichkeit der Auslegung nahezu jeder Festlegung einer 
Patientenverfügung sollte die Möglichkeit stärker herausgestellt 
werden, auf eine sehr detaillierte Patientenverfügung zu verzichten 
und sich darauf zu beschränken, einen Bevollmächtigten einzusetzen 
und mit ihm immer wieder zu besprechen, was gewollt ist und was 
nicht.
c)	Es wird in beiden Entwürfen ausgeblendet, dass jeder Mensch in 
der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes darauf angewiesen ist, 
dass andere Menschen sich seiner annehmen und die Wünsche einer 
Patientenverfügung nicht einfach als das letzte Wort des Patienten 
nehmen. Dies wird besonders deutlich, "wenn sie erkennbar in 
Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer 
medizinischer Entwicklungen abgegeben wurden und anzunehmen ist, dass
der Betroffene bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen 
hätte" (so Bosbach). Das Fehlen einer solchen ausdrücklichen Regelung
(bei Stünker und Zöller) ist ein empfindlicher Mangel.
d)	Die Frage der Reichweite von Patientenverfügungen ist 
zweifelsohne besonders heikel. Ein in jeder Hinsicht überzeugender 
Regelungsvorschlag liegt bisher nicht vor. In keinem Fall akzeptabel 
ist es, wenn (wie bei Stünker und Zöller) die in einer 
Patientenverfügung getroffenen Festlegungen "unabhängig von Art und 
Stadium einer Erkrankung des Betreuten" gelten sollen. Dies hätte 
schwerwiegende Konsequenzen, wie man sich exemplarisch an der Gruppe 
der Wachkomapatienten und der dementiell Erkrankten klar machen kann.
Aus der Reichweite von Patientenverfügungen ausgeschlossen müssen 
zumindest die Fälle sein, "in denen das Wachkoma ... erst vor kurzer 
Zeit eingetreten ist oder noch Zustandsverbesserungen (Remissionen) 
vorkommen können. Voraussetzung [sc. für die Geltung einer 
Patientenverfügung] ist ein (mit an Sicherheit grenzender 
Wahrscheinlichkeit) endgültiger Verlust des Bewusstseins. Es geht 
also um Zustände schwerster zerebraler Schädigung und anhaltender 
Bewusstlosigkeit, nicht aber z.B. um Fälle von Altersdemenz, bei 
denen der Betroffene zunehmend verwirrt, aber nicht unwiederbringlich
ohne Bewusstsein ist" (so Bosbach, S. 37f).
Berlin, den 18. Dezember 2008

Pressekontakt:

Evangelische Kirche in Deutschland
Hans-Christof Vetter
Herrenhäuser Strasse 12
D-30419 Hannover
Telefon: 0511 - 2796 - 269
E-Mail: christof.vetter@ekd.de

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