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Berliner Morgenpost: Des Kanzlers bester Mann
Leitartikel von Thorsten Knuf zu Friedrich Merz

Berlin (ots)

Wahlkämpfe sind Phasen, in denen nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden sollte. Der Kampf um die Macht vernebelt mitunter das Gehirn. Selbst jene, die einen klaren Blick auf die Dinge bewahren, kommen an Zuspitzung und Dramatisierung nicht vorbei. Es geht schließlich darum, mit seinen Botschaften durchzudringen. So ist es jetzt auch vor den Urnengängen in Bayern und Hessen.

Das heißt freilich nicht, dass sich Vertreter demokratischer Parteien alles erlauben könnten. Zum Glück ist Deutschland nicht Österreich oder Trumps Amerika, wo maßgebliche Teile des politischen Betriebs die Desinformation zum Geschäftsmodell erhoben haben. Die politische Kultur hierzulande ist trotz des Erstarkens der AfD erstaunlich stabil. Das erklärt, warum öffentliche Auftritte von Friedrich Merz von weiten Teilen des Publikums öfter als befremdlich wahrgenommen werden. Nun steht Merz in der Kritik, weil er in einer Talkrunde behauptete, dass 300.000 abgelehnte Asylbewerber "die volle Heilfürsorge" bekämen. "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Einem vertieften Faktencheck hält die Behauptung nicht stand - genau wie Merz' Aussage von vor einem Jahr, wonach es im größeren Stil einen Sozialtourismus ukrainischer Flüchtlinge gebe. Diese Behauptung musste der CDU-Chef umgehend wieder kassieren. Sie hatte ihren Ursprung in russischer Kriegspropaganda und wurde in rechten Kreisen in Deutschland umfänglich verbreitet. Auch die Behauptung, dass Flüchtlinge ein Leben voller Privilegien führten und die Deutschen in die Röhre guckten, ist in diesem Milieu eine gängige Erzählung.

Doch das Problem mit Merz ist ja nicht nur, dass es ihm in vielen Belangen an Faktensicherheit mangelt. Er neigt auch sonst dazu, sich um Kopf und Kragen zu reden. Kürzlich erst sagte er in einem bayerischen Bierzelt, dass Kreuzberg nicht Deutschland sei. Zuvor hatte er in einem Interview den Eindruck vermittelt, trotz eindeutiger Beschlusslage seiner Partei nichts gegen eine Zusammenarbeit von CDU und AfD auf kommunaler Ebene zu haben. Als er sich noch um den Parteivorsitz bewarb, brachte er schon mal Homosexualität und Pädophilie miteinander in Verbindung. Die wohlwollende Lesart wäre, dass Merz mit bewussten Provokationen Grenzen testet.

Allerdings gibt es auch in der CDU einige, die sagen, der Parteichef habe sich nicht im Griff. Die immer länger werdende Reihe von Pannen legt den Eindruck nahe, dass da etwas dran sein könnte. Das freilich wäre eine hochgradig politische Angelegenheit: Letztlich geht es um die Frage, ob Merz das Zeug dazu hat, Kanzler zu werden und dieses Amt auch mit der gebotenen Würde auszufüllen. Der amtierende Regierungschef Olaf Scholz (SPD) müsste eigentlich dankbar sein, dass er es mit diesem Oppositionsführer zu tun hat. Denn das gehört ja dazu, wenn man ein hohes Staatsamt anstrebt: Man muss die notwendige Ernsthaftigkeit ausstrahlen, Selbstbewusstsein allein genügt nicht. Und man muss integrieren können. Erst recht in schwierigen Zeiten.

Ja, das Ausmaß der Migration macht dem Land zu schaffen. Und ja, Gesellschaft, Alltag und Arbeitsleben verändern sich so schnell, dass viele Bürger nicht mehr mitkommen. Wer aber mit halb garen Behauptungen Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge gegen Deutsche ausspielt oder Landbewohner gegen Städter, integriert nicht, sondern betreibt das Geschäft der Populisten vom äußeren Rand.

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