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Eine unerträgliche Wahl
Leitartikel zum Tabubruch in Thüringen von Christine Richter

Berlin (ots)

Damit hat wohl keiner gerechnet: Am Mittwochmittag ist in Thüringen nicht Bodo Ramelow (Linke) zum Ministerpräsidenten gewählt worden, sondern der FDP-Politiker Thomas Kemmerich. Mit den Stimmen der AfD. Weil die AfD, in Thüringen angeführt von Björn Höcke, den man - gerichtlich bestätigt - als Faschisten bezeichnen darf, im dritten Wahlgang nicht ihren Kandidaten wählte, sondern Kemmerich. Der FDP-Mann, unterstützt von FDP und CDU, kam so auf 45, Ramelow nur auf 44 Stimmen. Was für ein Tabubruch. Denn bislang galt: Unter Demokraten ist es inakzeptabel, ja unerträglich, sich von der AfD, erst recht von einem AfD-Mann wie Höcke, wählen zu lassen.

Mit dieser Wahl in Thüringen hat keiner gerechnet, aber sie ist sicherlich von allen drei Parteien, zumindest von deren Spitzen, gut vorbereitet worden. Der CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring, der im Übrigen die Landtagswahl in Thüringen haushoch gegen Ramelow verloren hatte und nur auf 21,8 Prozent der Stimmen gekommen war, hatte unmittelbar nach der Wahl herumlaviert, wenn es um Fragen nach einer Koalition mit den Linken oder der AfD ging. Von bürgerlicher Mitte war da die Rede, von Verantwortung fürs Land. Die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak griffen zwar sofort ein und wurden nicht müde zu wiederholen, dass es keine wie immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, es gelte der Parteitagsbeschluss. Nun, Mohring hat nicht auf sie gehört.

Und die Liberalen? Sie haben das Spiel, das da getrieben wurde, mitgemacht. Wenn Kemmerich wirklich von der Unterstützung durch die AfD-Abgeordneten überrascht gewesen wäre, hätte er die Wahl zum Ministerpräsidenten ablehnen können. Ablehnen müssen. Denn für Liberale, für aufrechte Demokraten ist es wahrlich eine Schande, sich von diesen Rechtsaußen-Politikern wählen zu lassen. Muss man noch darauf hinweisen, dass wir gerade erst an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren erinnert haben? Vor drei Jahren, Ende 2017, hatte der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen mit den Worten platzen lassen: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Wie für die CDU-Führung gilt auch für die FDP: Auf ihren Bundesvorsitzenden haben die Thüringer nicht gehört - und wollen nun mehr als falsch regieren.

Wie es in Thüringen weitergeht, ist noch völlig offen, denn der FDP-Ministerpräsident hat mit seiner Partei - die bei der Wahl gerade so die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat - und auch mit der CDU keine Mehrheit. Eine solche Minderheitsregierung müsste von den anderen Parteien toleriert werden, aber Linke, Grüne und SPD haben dies schon, völlig zu Recht, abgelehnt. Bliebe also die AfD. Wollen CDU und FDP wirklich von deren Zustimmung abhängig sein? Man mag es sich nicht vorstellen.

Bundes-CDU, FDP und auch die CSU versuchten am Mittwochnachmittag noch zu retten, was kaum zu retten war. CDU-Generalsekretär Ziemiak, FDP-Parteichef Lindner und auch CSU-Chef Markus Söder forderten Neuwahlen in Thüringen. Die drei Parteien stehen auch immens unter Druck, denn die anderen Parteien, auch die SPD, sind über die Vorgänge in Thüringen völlig außer sich. Neuwahlen wären jetzt der einzige, der richtige Schritt.

Was für ein Tabubruch dies war, wie sehr sich die bürgerlichen Parteien FDP und CDU damit selbst geschadet haben, haben viele offenbar nicht begriffen. Auch der Berliner CDU-Fraktionschef Burkard Dregger nicht. Dregger sagte, die Wahl in Thüringen sei "eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist". Es ist eine Schande.

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