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BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Absurdes Theater am Festtag der Demokratie (Kommentar)

Berlin (ots)

Das haben wir wirklich nicht verdient. Fleißig,
unhysterisch und diszipliniert hat sich das Volk in den letzten 
Monaten durch die Krise gerobbt, die Angst vorm Jobverlust gezügelt 
und die Wut auf das Investment-Banking. Und was ist der Dank? Eine 
Haushaltsdebatte auf einer Qualitätsebene irgendwo zwischen Hertha 
und Union. Früher galt der Schlagabtausch im Bundestag als Festtag 
der Demokratie, mit rhetorischen, emotionalen und bisweilen sogar 
intellektuellen Perlen garniert. Gestern gab es schon mal den ersten 
Eindruck, mit welch geballten Langweiligkeiten Regierung und 
Opposition das Land in den kommenden vier Jahren zu quälen gedenken. 
Es ist schon absurd, wenn die Kanzlerin "neues Denken" verkündet, 
nachdem sie just ein millionenschweres Mehrwertsteuergeschenk an 
Hoteliers verabschiedet hat, dessen volkswirtschaftlicher Segen 
unterhalb der Messbarkeitsgrenze liegen wird. Das ist kein neues 
Denken, sondern Quark.
Immerhin: Angela Merkel ist sich treu geblieben. Die Politik der 
"kleinen Schritte", die sie vor vier Jahren ankündigte, wird 
fortgesetzt. Und das ist nicht einmal verkehrt: Lieber kleine 
Schritte in die falsche Richtung als große. Ein Wesenszug der Chefin 
ist allerdings wirklich neu: ihr quälender Drang zur Harmonie. Als 
habe es eine Debatte über ihre Führungsstärke nie gegeben, listete 
die Kanzlerin noch einmal alle Segnungen des Koalitionsvertrages auf.
Angela Merkel ertränkt ihre Gegner in einem Meer von hinlänglich 
bekannten Details. Einzig die Vorschläge zur Arbeitspflicht, die der 
Hesse Koch in gewohnter Markigkeit vorgeschlagen hatte, wurden 
kritisiert. Klar, kurz vor der wichtigen NRW-Wahl darf das Bild von 
der sozialdemokratisierten Union nicht beschädigt werden. Zugleich 
versuchte die Parteichefin, sich selbst und ihre CDU fast unauffällig
an die eigenen Wurzeln zu erinnern. "Christlich-liberal" nennt die 
Kanzlerin ihre Koalition, als wolle sie dem anschwellenden Gemurre 
über windelweiches Profil zumindest irgendwas entgegensetzen.
Es gehört zu den zweifelhaften, wenngleich wohl überlebensnotwendigen
Fähigkeiten Merkels, Widersprüche nicht aufzulösen, sondern einfach 
stehen zu lassen. Einerseits preist die Kanzlerin die gesetzlich 
verankerte "Schuldenbremse" als Leitplanke ihrer Politik, 
andererseits rechtfertigt sie eine Rekordverschuldung von 100 
Milliarden Euro für 2010. Der durchschnittliche Steuerzahler muss 
nicht mal so viel von Wirtschaft verstehen wie Rainer Brüderle, um zu
ahnen, dass da irgendwas nicht stimmen kann.
Angela Merkel hat eine "Sehnsucht der Bürger nach Zusammenhalt" 
festgestellt. Da mag sie recht haben. Aber das routinierte 
Wegdebattieren aktueller Probleme befriedigt diese Sehnsucht nicht. 
Nach dem Klimaschock von Kopenhagen und den Chaostagen der neuen 
Koalition steht die christdemokratische Regierungschefin unter 
verschärfter Beobachtung. Ihre Sympathiewerte schwinden. Sie braucht 
allgemein akzeptierte Erfolge. Die aber sind weit und breit nicht in 
Sicht.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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