Berliner Morgenpost: Ein Eklat, der von einer politischen Wende kündet
Berlin (ots)
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Welch ein Eklat während einer Konferenz, zu der sich Staats- und
Regierungschefs mit den Eliten aus Wirtschaft und Wissenschaft
treffen, um in offenem Gedankenaustausch zur Linderung der Probleme
dieser Welt beizutragen! Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sind
Israels Staatspräsident Schimon Peres und der türkische
Ministerpräsident Tayyip Erdogan während einer Podiumsdiskussion
derart aneinandergeraten, dass der Türke wutentbrannt den Saal
verließ. Anlass der Kontroverse war die Kriegführung Israels im
jüngsten Gaza- Krieg. Erst hatte Erdogan den Militäreinsatz Israels
massiv kritisiert, daraufhin Peres diesen leidenschaftlich verteidigt
("Was würden Sie tun, wenn jede Nacht zehn oder hundert Raketen auf
Sie niedergehen?"). Als Erdogan darauf noch einmal reagieren wollte,
entzog ihm der Moderator das Wort. Mit der Begründung, die Zeit sei
abgelaufen und das Abendessen warte. Der in seiner Ehre verletzte
Erdogan ward daraufhin in Davos nicht mehr gesehen.
Bei etwas mehr Fingerspitzengefühl des Gesprächsleiters hätte sich
der Eklat wohl vermeiden lassen. Zumal auch die Türkei alles andere
als zimperlich ist um Umgang mit ihren Feinden. Mit den Kurden etwa,
die mehr Autonomie bis hin zur Unabhängigkeit fordern. Der Einsatz
von Panzern und Kampfflugzeugen gegen sie ist auch der türkischen
Armee nicht fremd. Doch der Eklat von Davos hat eine weit größere
Dimension als allein verletzter Stolz. Die Türkei galt bislang als
stiller Verbündeter Israels. Noch im Südlibanon- Krieg vor drei
Jahren gegen die Hisbollah stand der Nato-Partner auf Seiten Israels,
die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen beiden
Ländern galt als vielversprechend. Damit wuchs auch der Einfluss der
Türkei in der Krisenregion Nahost. So weit, dass Ankara als
unabhängiger Vermittler zwischen den verfeindeten Lagern akzeptiert
wurde. Auch als Brückenbauer zwischen der islamischen und der
westlichen Welt empfiehlt sich die zunehmend selbstbewusste Türkei.
Diese Rolle des ehrlichen Maklers und Brückenbauers wird nicht erst
mit dem Eklat von Davos fragwürdig. In jüngster Zeit nahm Erdogan
immer häufiger Partei für die islamischen Glaubensbrüder, wenn es um
die Frage ging, wem das Heilige Land gehöre. Auch während des
Gaza-Kriegs verlor er kein Wort über die Raketenangriffe der Hamas
auf Israels Zivilbevöl kerung. Seine Neutralität gab Erdogan
endgültig auf, als er davon sprach, Allah werde Israel für das
bestrafen, was den Palästinensern in Gaza angetan wurde. So reagiert
kein Freund oder Partner, der sich als Vermittlers andient. So redet
eher einer, der einen Kurswechsel vorgenommen hat, einen solchen
zumindest vorbereitet. Der stürmische Empfang Erdogans in der Heimat,
vermutlich wohl organisiert, stärkt diese Befürchtung.
So dürfte der Eklat beim Weltwirtschaftsforum kein Zufall gewesen.
Abkehr von Europa, Ende der Kooperation mit Israel, Wechsel ins
islamische Lager? Es sind beunruhigende Signale, die Erdogan
aussendet. In den Nahen Osten wie nach Europa.Pressekontakt:
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