Alle Storys
Folgen
Keine Story von taz - die tageszeitung mehr verpassen.

taz - die tageszeitung

Kommentar Kamala Harris
Das erste Mal wird eine Frau und eine Nicht-Weiße Vize in den USA. Allerdings steht Kamala Harris für eine Leistungsideologie, die viele ausschließt.

Berlin (ots)

Ohne Zweifel: Der Einzug von Kamala Harris als Vizepräsidentin ins Weiße Haus neben Präsident Joe Biden ist ein doppelter Meilenstein. Sie ist die erste Frau in einem dieser beiden Ämter überhaupt - und die erste nichtweiße Person, die das zweitwichtigste Amt der USA besetzt. Die Wahl hat eine Signalwirkung für alle, die seit Jahrhunderten in den oberen Etagen der Politik unterrepräsentiert sind.

Bemerkenswert ist, dass die Ernennung von Kamala Harris zur Running Mate im Sommer eigentlich nicht mehr überraschend kam. Vor wenigen Jahren wäre das noch anders gewesen: Als Barack Obama 2008 kandidierte, ging er auf die vermeintliche Nummer sicher und präsentierte einen Mann neben sich, der wohl die konservativen Wähler im Land nicht verschrecken sollte: Joe Biden.

Es gibt allerdings einen Haken an der Wahl von Kamala Harris. Abgesehen von der wuchtigen und wichtigen Symbolik wird ihr Einzug in das Weiße Haus allein das Leben einer alleinerziehenden schwarzen Mutter aus Minneapolis, die bei Wendy's arbeitet und noch einen zweiten Job hat, um über die Runden zu kommen, nicht verbessern.

Im Gegenteil dürfte Kamala Harris mit ihrem auf Selbstoptimierung getrimmten Habitus und ihrer auf persönlichen Ehrgeiz fixierten Programmatik - "Dream with ambition!" appellierte sie in ihrer Siegesrede am Samstag an junge Frauen - bei den Unterprivilegierten das Gefühl auslösen, dass der Wille zum Aufstieg sowieso zwecklos sei: weil sie nicht die nötige elaborierte Sprache sprechen, weil sie nicht in die "richtige" Familie hineingeboren wurden (was bei Harris als Tochter eines Professors und einer Forscherin der Fall ist), weil ihnen die Ideologie des Leistungsdenkens und der ständigen Selbstoptimierung fremd ist, sie vielmehr unter Stress setzt.

Es war von ausgesuchter Symbolik, dass sich Kamala Harris nach der Siegesmeldung ausgerechnet nach dem Joggen filmen ließ ("We did it Joe!"). Joggen ist in den USA vorzuzugsweise der Sport der effizienten Leistungsmenschen aus Kalifornien oder New York City.

Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien und Bezirksstaatsanwältin von San Francisco verfocht sie eine harte Linie bei der Verfolgung kleiner Vergehen. Eltern von notorischen Schulschwänzern - überproportional Schwarze - machte sie mit strafrechtlichen Drohungen Druck. Kamala Harris hat die Chance, als progressive Vizepräsidentin und Antreiberin des Präsidenten in die Geschichte einzugehen.

Dafür ist aber eine Agenda nötig, die die strukturellen Ursachen der fatalen Ungleichheit im Land tatsächlich angeht und nicht nur den uramerikanischen, aber längst unrealistischen Traum, dass es jeder schaffen könne, der sich an die Regeln hält, nacherzählt.

Pressekontakt:

taz - die tageszeitung
Gunnar Hinck
Telefon: +49 30 25902 255
meinung@taz.de

Original-Content von: taz - die tageszeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: taz - die tageszeitung
Weitere Storys: taz - die tageszeitung