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Börsen-Zeitung: Rundungsfehler
Kommentar von Dietegen Müller zur Debatte über den "längsten Bullenmarkt der Geschichte"

Frankfurt (ots)

Die Wiederholung macht eine Behauptung nicht wahrer. Auch nicht der Tweet von US-Präsident Donald Trump, der am Mittwoch dem "längsten Bullenmarkt in der Geschichte des Aktienmarktes" und damit der amerikanischen Nation insgesamt gratuliert hat.

Am Dienstag hatte der US-Aktienmarkt gemessen am S&P 500 im Tagesverlauf zwar mit 2873,23 Punkten einen Rekord erreicht, der am Freitag im frühen Handel übertroffen wurde. Doch Rekord hin oder her - der längste Bullenmarkt der Geschichte ist das noch lange nicht.

Wer Äpfel mit Äpfeln und Birnen mit Birnen vergleicht, stellt rasch fest, dass der längste Bullenmarkt, basierend auf den Schlusskursen des S&P 500, vom 4. Dezember 1987 bis zum 24. März 2000 und somit 4494 Tage dauerte. Der laufende Bullenmarkt dauert einschließlich Freitag erst 3455 Tage, wenn man als seinen Beginn den Schlusskurs vom 9. März 2009 nimmt. Es fehlen über 1000 Tage oder 34 Monate bis zur längsten Hausse in der Geschichte des S&P 500.

Dass dieser Tage trotzdem vom längsten Bullenmarkt ever die Rede ist, liegt daran, dass 1990 eine Korrektur im bisher längsten Aufschwung die US-Benchmark um 19,9% gemessen am Schlussstand gedrückt hat. Die kaufmännische Rundung macht daraus ein Minus von 20%. Ein Bullenmarkt gilt immer dann als intakt, solange er nicht von einer Korrektur von 20% oder mehr unterbrochen wird. Die Mär von der aktuell längsten Hausse geht also von einem - wenn auch korrekt gerechneten - Rundungsfehler aus. Der damalige Aufschwung hätte dann erst nach dem Tief vom 11. September 1990 begonnen und 3452 Tage gedauert. Wer vom aktuell längsten Bullenmarkt spricht, geht auch davon aus, dass Intraday-Höchst- und Intraday-Tiefstkurse einbezogen werden. Denn gemessen am Schlusskurs reichte die aktuelle Hausse nur bis zum 26. Januar 2018, als der S&P 500 den bisher höchsten Endstand von 2872,87 Punkten erreichte. Am Dienstag wurde nur im Tagesverlauf ein Rekordhoch erreicht - und ob am Freitag auch mit dem Schlussstand ein neues Rekordhoch erreicht wurde, war zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Würden statt Schlusskursen grundsätzlich Intraday-Kurse in die Berechnung einbezogen, sähe der gegenwärtige Bullenmarkt eher jung aus: Er hätte am 4. Oktober 2011 begonnen. Vom Intraday-Höchst am 2. Mai 2011 fiel er bis zum Intraday-Tiefst um 21,6%. Auf Schlusskursbasis hätte das Minus 19,2% betragen.

Auf Intraday-Basis wäre aber auch der Rekord-Bullenmarkt in den neunziger Jahren unterbrochen worden: Der Absturz von Juli bis Oktober 1998 durch Russland-Krise und LTCM-Debakel hat auf Intraday-Basis 22,3% an Wert ausradiert, auf Basis der Schlusskurse nur 19,3%. Der längste Bullenmarkt hätte dann ab 1990 begonnen und statt gut zwölf nur rund acht Jahre gedauert (auf Intraday-Basis betrug das Minus 1990 20,4%).

Diese Haarspalterei zeigt, dass Intraday-Volatilität gerade in turbulenten Marktphasen erheblich ist und die Kalkulation von Bullenmarkt-Längen komplett verändert. Zum anderen spiegelt sich in der Diskussion um die Dauer die Sorge, dass eine Rally, je älter sie wird, bald enden muss - wie ein Grashalm, der zu lange gebogen wird und abknickt.

So gesehen lässt sich Entwarnung geben: Auf Basis der Schlusskurse hat die laufende Rally, die von Technologieaktien dominiert wird (vgl. Tabelle), noch viel zeitlichen Spielraum. Es gibt sogar Beobachter, die den Beginn des derzeitigen Bullenmarktes auf 2013 legen - damals glich der S&P 500 seine Verluste seit der Finanzkrise 2007/08 aus. Andererseits sind die Bewertungen hoch, ebenso die politischen Risiken, und die US-Notenbank fährt die Liquiditätsversorgung zurück. Im besten Fall dürfte es eine Fortsetzung der Hausse mit flauem Gefühl im Bauch geben. Das flaue Gefühl aber dürfte auch exzessive Risiken bremsen und könnte dem Bullenmarkt Widerstandskraft gegen 20-Prozent-Korrekturen geben. Auf ein langes Leben!

(Börsen-Zeitung, 25.08.2018)

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