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Börsen-Zeitung: Karlsruher Kapitulation, Kommentar zum OMT-Urteil von Stephan Lorz

Frankfurt (ots)

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich der normativen Kraft des Faktischen gebeugt und seinen Widerstand gegen das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgegeben. Die "Auflagen", die das Gericht bei selektiven Anleihekäufen im Krisenfall verlangt, sind nicht der Rede wert. Ankäufe sollen nicht angekündigt und das Volumen im Voraus begrenzt werden, heißt es etwa. Bundesregierung und Bundestag sollen darauf achten, dass diese Maßgaben erfüllt werden. Aber schon in der Vergangenheit hat sich Berlin bei der Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen und der Wahrung demokratischer Rechte nicht gerade hervorgetan.

Ohne Rücksicht auf die demokratische Legitimität wurden etwa neue Institutionen geschaffen wie der - auch mit deutschen Steuergeldern und Bürgschaften ausgestattete - Euro-Rettungsfonds. Erst Karlsruhe hat verfassungskompatible Prozeduren und parlamentarische Eingriffsrechte verlangt - und diese dann auch durchgesetzt. Zugleich drängte die Politik die EZB in die Position des Krisenmanagers und Garanten für die Eurozone. Dass sie dafür ihr geldpolitisches Mandat ausweiten musste, wurde hingenommen - auch mit dem augenzwinkernden Verweis auf ihre Unabhängigkeit. Dabei ist Letztere streng ans Mandat gekoppelt, das sie allein auf die Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Ansonsten wäre die fehlende demokratische Legitimierung nicht zu rechtfertigen.

Finanzpolitischer Spielraum

Und es war das BVerfG, das die Politik stets darauf hingewiesen hat, dass die unumschränkte "Rettung" Rückwirkung auf den Spielraum der heimischen Staatsfinanzen hat und dass auch die Einschaltung der Notenbank nicht ohne Folgen bleiben wird, weil im Falle des Falles etwa die Gewinnabführung ausbleibt oder Kapital nachgeschossen werden muss. Es ist eine weit verbreitete irrige Ansicht, dass die Geldschöpfungsmöglichkeiten einer Zentralbank folgenlos angezapft werden können.

Politische Borniertheit

Dass die Politik in Brüssel und Berlin selber durch vorausschauendes Verhalten und die Beachtung von Regeln dazu beitragen muss, um die Eurozone zu stabilisieren, wird zwar in Sonntagsreden immer wieder betont, die immer neuen Zugeständnisse etwa bei der Haushaltsüberwachung bisheriger Euro-Krisenländer sowie Frankreichs sprechen aber eine andere Sprache. Auch das erhöht den Handlungsdruck auf die EZB - und nötigt ihr Entscheidungen ab, die sie unter anderen Umständen so keinesfalls getroffen hätten. Gegen so viel politische Borniertheit ist auch Karlsruhe machtlos. Besonders muss es die Richter aber schmerzen, dass sie sich im Zuge ihrer verfassungsrechtlichen Kapitulation auf ein Urteil des EuGH beziehen und berufen müssen, das für sich genommen inkonsistent, oberflächlich und anmaßend daherkommt. Leitschnur der Argumentation der Luxemburger Richter ist stets, die Machtfülle europäischer Institutionen bloß nicht einzuschränken - zumal man oft genug selber über die Stränge geschlagen hat. Wer das kritisiert, dem wird bisweilen bescheinigt, kein Freund "Europas" zu sein. Vor diesem Hintergrund stellten sie der EZB einen Persilschein für künftige Markteingriffe aus, selbst wenn diese nur ansatzweise für die Stabilisierung des Euro-Konstrukts taugen.

Freiraum für Helikoptergeld

Die Karlsruher Richter haben denn auch relativ genussvoll die blinden Stellen im EuGH-Urteil aufgelistet. Regelrecht verärgert zeigten sie sich, dass ihre Luxemburger Kollegen die Argumentation der EZB, keine monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben, so einfach hingenommen haben, ohne auch nur ansatzweise die ökonomischen Folgen einer solchen Politik zu hinterfragen. Die Streitigkeiten mit dem EuGH sind also noch nicht ausgeräumt, im aktuellen Rechtsfall aber haben die deutschen Richter klein beigegeben.

Für die EZB bedeutet der Richterspruch, dass sie für das laufende Anleihekaufprogramm (QE) wohl keine rechtlichen Attacken von der deutschen Seite mehr zu befürchten hat. Ihr Handlungsspielraum hat sich enorm vergrößert. Das könnte eine Rolle spielen, wenn die Eurobanker eine erneute Ausweitung ihres Inflationisierungs- und Staatenrettungsprogramms für nötig erachten. Denn nach dem Urteil des EuGH würde schließlich auch Helikoptergeld, der Ankauf von Aktien oder eine noch stärkere Monetisierung von Staatsschulden europarechtlich durchgewunken werden, sofern man dafür nur eine geldpolitische Begründung findet. Und diesbezüglich ist die EZB noch nie in Verlegenheit gewesen.

Bollwerk geschleift

Womöglich erweist sich die Karlsruher Kapitulation aber noch aus einer ganz anderen Betrachtung als verhängnisvoll: Niedrig- und Negativzinsen, die Außerkraftsetzung der Marktkräfte durch die Anleihekäufe und die mittelbare Finanzierung der Staaten durch die Geldpolitik hat die Schar der EZB- und Eurokritiker in Deutschland enorm anwachsen lassen. Viele haben sich bisher auf das Bollwerk Bundesverfassungsgericht verlassen, wenn es darum geht, die schlimmsten Auswüchse der EZB-Politik noch zu verhindern und im Notfall auch ein Stoppsignal für die ganze "Europäisierung" zu setzen. Die Emotionen wurden kanalisiert, die Gemüter konnten sich abkühlen. Die Karlsruher haben sich jetzt aber aus dem Spiel genommen. Es dürfte der politischen Debatte nicht gut bekommen, wenn die Öffentlichkeit bei der nächsten Wirtschafts- und Finanzkrise dann nach Schuldigen sucht.

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