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Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Ukraine: Wiederaufbauplan braucht Verbesserungen

Wien (ots)

Überschätztes Wachstumspotenzial; Prioritäten und dezentrales Konzept problematisch; Steuersenkungen trotz riesigem Finanzbedarf kontraproduktiv; Reformen für EU-Beitritt positiv

Was kostet der Wiederaufbau der Ukraine und woher soll das Geld dafür kommen? Diese Frage wird von der internationalen Gemeinschaft schon seit geraumer Zeit diskutiert. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) hat sich daher in einer neuen Studie gemeinsam mit dem GROWFORD Institut in Kiew angesehen, wie der im Juli präsentierte Wiederaufbauplan der ukrainischen Regierung (National Recovery Plan) zu bewerten ist.

Fazit: Der Plan lässt enorme Anstrengungen erkennen, weist aber auch eine Reihe von Defiziten auf. Zu den Stärken zählt das Bestreben, institutionelle Reformen in Angriff zu nehmen, die Macht der bisher allgegenwärtigen Oligarchen zu beschneiden und die Ukraine an EU-Standards heranzuführen. Auch die kurzfristig notwendigen Maßnahmen zur Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft werden richtig identifiziert und herausgearbeitet.

„Die Schwächen liegen allerdings ebenfalls klar auf der Hand“, sagt Tetiana Bogdan, wissenschaftliche Direktorin des GROWFORD Instituts in Kiew und Gastforscherin am wiiw. „Das beginnt damit, dass das Wachstumspotenzial der ukrainischen Wirtschaft nach dem Krieg überschätzt wird. Auch bei der Verteilung der Mittel auf die einzelnen Sektoren sowie bei den Plänen für die Industriepolitik und den Finanzsektor sind Anpassungen notwendig“, so Bogdan.

Die im Plan formulierte Absicht, die Steuern massiv zu senken, ist unvereinbar mit den hunderten Milliarden US-Dollar, die der Wiederaufbau verschlingen wird. Der vorgeschlagene dezentrale Ansatz dürfte kontraproduktiv wirken: „In den meisten Fällen sollte der Wiederaufbau auf nationaler Ebene koordiniert werden“, gibt Michael Landesmann, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor des wiiw und Co-Autor der Studie, zu bedenken. Bemängelt werden in der Studie außerdem inhaltliche Ungereimtheiten und Überschneidungen sowie eine teilweise falsche Prioritätensetzung.

Überschätzte Wachstumsaussichten

Die Gesamtkosten des Wiederaufbaus sind noch nicht klar, da der Krieg weitergeht und die russischen Truppen derzeit enorme Zerstörungen anrichten. Die ukrainische Regierung schätzte die Gesamtkosten für den Wiederaufbau über zehn Jahre im Juli auf 750 Milliarden US-Dollar. Darin enthalten sind auch die Militärausgaben. Zwei Drittel davon, also 500 Milliarden US-Dollar, sollen von ausländischen Gebern kommen, der Rest von privaten Investoren. Ohne die Militärausgaben rechnet die ukrainische Regierung mit 450 Milliarden US-Dollar an notwendigen Auslandshilfen. Unter der Annahme, dass die intensivste Phase des Krieges bis Mitte 2023 andauern wird, geht die Studie davon aus, dass die internationalen Geber etwas weniger, nämlich rund 410 Milliarden US-Dollar, zum Wiederaufbau beisteuern müssen. Dieser Betrag steht im Einklang mit anderen einschlägigen Schätzungen. „Natürlich ist das immer noch eine riesige Summe. Die EU, die ein starkes Eigeninteresse an einer demokratischen und prosperierenden Ukraine hat und das Land ja auch zum Beitrittskandidaten gemacht hat, wird daher ihre Anstrengungen in diesem Bereich massiv verstärken müssen“, betont Co-Autor Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw.

Unrealistisch erscheint das im Wiederaufbauplan formulierte Ziel einer Verfünffachung der Wirtschaftsleistung von etwas über 100 Milliarden US-Dollar im heurigen Jahr auf 500 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032. Das legt auch der Vergleich mit anderen ehemaligen Kriegsgebieten nahe. Bosnien-Herzegowina schaffte gerade einmal eine Verdreifachung des BIP zwischen 1996 und 2005, Kroatien eine Verdoppelung von 1994 bis 2003.

Fragwürdige Priorisierung bestimmter Industrien und Verteilung der Mittel

Die Verteilung der Gelder auf die einzelnen Sektoren wird im Wiederaufbauplan nicht gut begründet. So wird beispielsweise der Finanzierungsbedarf für Verteidigung und Sicherheit bis 2032 mit lediglich 50 Milliarden US-Dollar veranschlagt. In diesen Betrag miteingerechnet sind bereits die Militärhilfen der Verbündeten für das heurige Jahr. Angesichts der großen Intensität des Krieges und der immensen Herausforderungen bei der Reform der Rüstungsindustrie und der Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte nach dem Krieg erscheint dieser Betrag zu niedrig.

Zweifelhaft ist auch die Einstufung der Schwerindustrie und der Agrarproduktion als Sektoren mit hoher Wertschöpfung, die beim Wiederaufbau Priorität haben und mit Milliarden US-Dollar gefördert werden sollen. „Aus unserer Sicht stellt das eine rückwärtsgewandte Industriepolitik dar, die eine Konservierung bestehender Strukturen bedeutet, anstatt den notwendigen Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen und grünen Wirtschaft zu forcieren“, moniert Michael Landesmann. Dabei hätte die Ukraine gerade im IT-Bereich oder bei Umwelttechnologien großes Potenzial.

Zudem bleiben die Instrumente zur Erreichung der gesteckten Ziele, die administrative Umsetzung und die Finanzierung weitgehend im Dunkeln. Ebenso fragwürdig erscheint die geplante Stimulierung der Vergabe von Hypothekarkrediten mit nicht weniger als 40 Milliarden US-Dollar oder die Rekapitalisierung der ukrainischen Banken mit 15 bis 20 Milliarden US-Dollar.

Dezentraler Ansatz statt gesamtstaatlicher Steuerung

Einen großen Schwachpunkt orten die Autor:innen der Studie im dezentralen Ansatz des Wiederaufbauplans. Er sieht vor, die Wiederaufbauprojekte in bestimmten Regionen unter Führung eines internationalen Partners zu konzentrieren. Großbritannien hat sich etwa bereit erklärt, den Wiederaufbau in der Region Kiew zu übernehmen, Dänemark will sich auf Mikolajew konzentrieren, Schweden auf Odessa. Wie ein derartiges dezentrales System funktionieren soll, bleibt schleierhaft. „Die zentralen Wiederaufbauprogramme müssen auf gesamtstaatlicher Ebene ausgearbeitet und verwaltet werden, um eine landesweite Wirkung zu erzielen. Denken Sie nur an den Bau überregionaler Verkehrsverbindungen oder die Angleichung der Wiederaufbaubemühungen an die EU-Standards“, erklärt Tetiana Bogdan.

Problematische Steuersenkungspläne und Hindernisse für EU-Beitritt

Der Wiederaufbauplan sieht auch Maßnahmen vor, die eindeutig im Widerspruch zu EU-Recht stehen, wie das Verbot der Erstattung der Mehrwertsteuer auf Rohstoffexporte oder die massive staatliche Förderung der Schwerindustrie. Wenig durchdacht präsentieren sich auch die Pläne, die Steuern- und Abgabenquote auf 30 Prozent des BIP zu drücken, während gleichzeitig hunderte Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau benötigt werden und außerdem auch noch die Staatsschuldenquote sinken soll.

Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Pressekontakt:

Andreas Knapp
Communications Manager
Tel. +43 680 13 42 785
knapp@wiiw.ac.at

Original-Content von: Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), übermittelt durch news aktuell

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