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WAZ: Das Wunder von Tunis - Leitartikel von Gudrun Büscher

Essen (ots)

Was für eine Revolution! Ein arabisches Volk befreit sich aus eigener Kraft von seinem Diktator. Das ist ebenso wunderbar wie einmalig in der jüngeren Geschichte der Region. Und es waren nicht irgendwelche bärtigen Islamisten, die in Tunis den "ewigen Präsidenten" Ben Ali aus dem Land jagten. Es war eine junge Generation, die oft gut ausgebildet, aber beruflich chancenlos, sich dem korrupten Regime entgegenstellte. Es ist die Generation Facebook, die hier Geschichte schreibt und in Tunis für einen politischen Frühling mitten im Winter sorgt. Fast ein Vierteljahrhundert lang hatte Tunesiens Präsident seine Repression damit gerechtfertigt, dass er eine Machtübernahme radikaler Muslime verhindern müsse, wie sie Anfang der 90er Jahre in Algerien drohte. Die Anschläge des 11. September 2001 trugen dazu bei, dass man es im Westen vorzog, nicht so genau hinzusehen, wie in Tunis Oppositionelle, Schriftsteller und Menschenrechtler weggesperrt und misshandelt wurden, während sich Ben Ali und sein Clan schamlos bereicherten. Auch Europa hat all die Jahre zugesehen. Gute Geschäfte mit dem Urlaubsland waren oft wichtiger, als mit Nachdruck für ein Minimum an Grundrechten und Pressefreiheit einzutreten. Der Sieg der furchtlosen Demonstranten hat den Westen überrascht, die arabische Welt elektrisiert und ihre Herrscher stehen unter Schock. Denn nicht nur in Tunis be-gehren junge Araber auf, die nicht von einem Scharia-Staat träumen, sondern leben und arbeiten wollen wie ihre Altersgenossen in Europa und Amerika. Sie gilt es zu stärken. Alles, was die Tunesier gegen die Führung aufbrachte, gibt es auch in Algerien, Ägypten, Syrien oder Libyen. Übers Fernsehen und via Internet waren die Menschen Zeugen des erfolgreichen Aufstandes. Ob das Beispiel Schule macht, ist offen. Ebenso wie die Frage, was die Tunesier mit dem Wunder anfangen, das sie selbst geschaffen haben. Denn die Abwesenheit eines Diktators führt nicht automatisch in die Demokratie. Tunesien verdient jede Unterstützung, die es braucht, damit die Flucht Ben Alis als historischer Wendepunkt in die Geschichte der Region eingeht und nicht als Übergang von einer Diktatur in die nächste. Fazit: Die tunesische Revolution ist ein kleines Wunder, das die Machthaber der Region schockiert. Sie fürchten, Tunis könnte Schule machen. Auch in Ägypten, Algerien, Libyen haben die Menschen ge-nug von der Herrschaft der alten Männer.

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