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Berliner Morgenpost: Kein Welpenschutz für Köhler, Rösler und Co. - Leitartikel

Berlin (ots)

Er war 33, als er die Fraktion im
rheinland-pfälzischen Landtag übernahm. In Mainz war er zum 
Stadtgespräch geworden, da er sich im Schaufenster eines 
Herrenausstatters umgezogen haben soll. Der junge Helmut Kohl galt in
der Honoratiorenpartei CDU als Rocker.
Der Neue im Landtag zu Hannover war, obgleich erst 31 Jahre jung, ein
brillanter Rhetoriker. Mit 40 war Sigmar Gabriel Ministerpräsident. 
Joschka Fischer wurde mit 37 in Turnschuhen und grob gewirktem 
Jackett zum hessischen Umweltminister vereidigt, ohne Abitur und 
Studium.
Relative Jugend ist nie ein Problem der Politik gewesen, denn ewig 
gilt: Die Guten kommen durch. Und die weniger Guten ducken sich auch 
mit 60 noch auf den hinteren Bänken oder enden wie Kohls einstiger 
Jungstar Claudia Nolte im Belgrader Büro der 
Konrad-Adenauer-Stiftung.
Der grassierende Jugendwahn hat allerdings eine neue Dimension 
erreicht. In Zeiten, da Parteien rapide an Akzeptanz verlieren, 
erscheint eine Verjüngungskur weit wirkungsvoller als jede 
Programmreform. Im Rückblick wird es wohl als eine der größten 
Leistungen von Guido Westerwelle gelten, dass er elf Oppositionsjahre
nutzte, die FDP radikal zu verjüngen: Gegen Koch-Mehrin, Rösler, 
Bahr, Homburger fallen Brüderle und Solms kaum noch auf. Ausgerechnet
der sprunghafte Horst Seehofer kopierte das Programm, als er zu 
Guttenberg, Aigner und Dobrindt in Ämter hievte. Die Linken bieten 
Kipping und Wagenknecht auf; die SPD konterte mit Manuela Schwesig, 
Sozialministerin in Schwerin. Andrea Nahles müht sich ebenfalls, als 
jugendliche Hoffnung durchzugehen. Da konnte die CDU nach dem 
Jung-Desaster kaum mit einem älteren Herrn aus dem Wiesbadener 
Koch-Klub antreten.
Mag der Jugendboom von Altgedienten auch als Marketing gedacht sein, 
so bedeuten die frischen Leute neue Ideen und Stile. Zu Guttenberg 
und Köhler liegen nicht mehr in den Schützengräben ihrer Ausbilder: 
Man kann auch als Konservativer eine Exit-Strategie für Afghanistan 
suchen und einen Krieg "Krieg" nennen, man kann moderne 
Familienpolitik ohne Hilfe von Alice Schwarzer formulieren. Vor allem
aber beherrschen die Jungen jene digitalen Kulturtechniken, vor denen
die Generation der Fast-Fünfziger oft kapituliert hat.
Der Generationenbruch zieht sich eben nicht nur an der 68er-Linie 
entlang, sondern auch an der C64er. Wer ohne den ersten Volkscomputer
aufgewachsen ist, bringt wenig Verständnis für die Umbrüche der Welt 
auf - so wie die Mehrzahl der deutschen Volksvertreter. Erleichtert 
lesen sie im Schirrmacher-Bestseller "Payback", dass sie nicht allein
schwimmen in der E-Mail-Flut. Die Jungen dagegen grienen meist über 
solche Probleme.
Auf allzu langen Welpenschutz kann sich der forsche Nachwuchs 
allerdings nicht verlassen. Ob Nahles, Koch-Mehrin oder jetzt der 
Verteidigungsminister - alle ehemals Jungen sind sehr bald im 
mühseligen Stadium der Normalität angekommen. Als Nächste werden 
Rösler und Köhler diese Erfahrung machen.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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