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Ein neuer Verbündeter im Kampf gegen Hirnerkrankungen: Unser eigener Schädelknochen

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Alzheimer, Schlaganfall, Multiple Sklerose und andere neurologische Erkrankungen verursachen schwere Schäden durch Immunzell-vermittelte Entzündung, die Neuroinflammation. Diese Entzündungen richtig zu behandeln ist eine bedeutsame medizinische Herausforderung, da das Gehirn durch den Schädelknochen und die zusätzlichen, umgebenden Membranen geschützt ist, wodurch der Zugang zum Gehirn für Behandlungsansätze reduziert ist. Kürzlich wurden jedoch kleine Kanäle für die Bewegung von Immunzellen vom Knochenmark des Schädels zum Gehirn entdeckt. Darauf aufbauend zeigen neue Forschungsergebnisse, dass Zellen im Knochenmark des Schädels in ihrer Zusammensetzung und ihrer Reaktion auf Krankheiten einzigartig sind. Diese Erkenntnisse bieten neue Möglichkeiten für die Diagnose und Behandlung von neurologischen Erkrankungen und revolutionieren das Monitoring der Gehirngesundheit in Zukunft durch nicht-invasive Schädelaufnahmen. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift Cell veröffentlicht.

Millionen Menschen weltweit sind von den Auswirkungen neurologischer Erkrankungen wie Alzheimer, Schlaganfall und Multiple Sklerose betroffen. Neuroinflammation ist ein gemeinsames Merkmal dieser Krankheiten. Es handelt sich dabei, um eine Art internes "Feuer" im Gehirn, das durch die Aktivierung von Immunzellen und die Freisetzung von entzündlichen Molekülen schwere Schäden verursachen kann. Aufgrund der schlechten Zugänglichkeit des Gehirns durch den Schutz des Schädelknochens und von drei zusätzlichen Schutzhüllen in Form von Membranen, stellt die Kontrolle und Überwachung dieser Entzündung eine große Herausforderung dar. Ein Team von Wissenschaftler:innen um Prof. Ali Ertürk von Helmholtz Munich in Zusammenarbeit mit Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Technischen Universität München (TUM) stellen sich dieser Herausforderung.

Nicht nur ein Schutzhelm: Die komplexe Verbindung zwischen Schädel und Gehirn

Entgegen der traditionellen Vorstellung, dass zwischen Schädel und Gehirn kein direkter Austausch besteht, haben jüngste Studien direkte Verbindungen zwischen dem Knochenmark des Schädels und der äußersten Oberfläche des Gehirns, der Meningenoberfläche von den Membranen, aufgedeckt. Diese Verbindungen dienen als Kanäle, die die Bewegung von Immunzellen erleichtern. Das Team von Forschenden stellte fest, dass die Verbindungen teilweise sogar durch die äußerste und widerstandsfähigste Membranschicht, die Dura, verlaufen und damit Öffnungen näher an der Hirnoberfläche als zuvor angenommen bilden. Die Kanäle konnten mit einer spezialisierten Methode namens Tissue Clearing in Kombination mit 3D-Bildgebung sichtbar gemacht werden. Dabei werden biologische Gewebe mit einer speziellen Lösung behandelt, um sie transparent und Licht-durchdringbar zu machen. So kann die Untersuchung von Hirngewebe und Schädel unter einem Mikroskop ermöglicht werden. Mit dieser Methode konnten 3D-Bilder für eine umfassende visuelle Analyse von Strukturen und Zellen erzeugt werden.

Das Forschungsteam untersuchte zudem die besondere Rolle der Immunzellen im Schädel in Bezug auf die Gehirnphysiologie und -erkrankungen genauer. Es wurde analysiert, ob der Schädel einzigartige zellspezifische und molekulare Bestandteile beherbergt, die in anderen Knochen nicht vorhanden sind. Eine Analyse der RNA- und Proteinzusammensetzung mittels Transkriptomik und Proteomik von sowohl Mäusen als auch menschlichen Knochen bestätigte dies: Der Schädelknochen ist tatsächlich außergewöhnlich und beherbergt einzigartige neutrophile Immunzellen, eine Art von weißen Blutzellen, die eine entscheidende Rolle in der Abwehr des Immunsystems spielen. "Diese Ergebnisse haben tiefgreifende Auswirkungen und legen nahe, dass die Verbindung zwischen Schädel und Gehirn weitaus komplexer ist als bisher angenommen", hebt die Erstautorin der Studie, Ilgin Kolabas, Doktorandin im Labor von Ertürk bei Helmholtz Munich, hervor.

Ali Ertürk, der Letztautor, fügt hinzu: „Dies eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung von Gehirnerkrankungen und hat das Potenzial, unser Verständnis von neurologischen Krankheiten zu revolutionieren. Der Durchbruch könnte zu einer effektiveren Überwachung von Erkrankungen wie Alzheimer und Schlaganfall führen und möglicherweise sogar dazu beitragen, den Ausbruch dieser Krankheiten durch frühzeitige Erkennung zu verhindern.“

Für eine bessere Zukunft: Vom Forschungslabor zur klinischen Praxis

Eine weitere bahnbrechende Entdeckung mit Hilfe von PET Scans (Positronen-Emissions-Tomografie) war, dass die Signale des Schädelknochens denen des darunterliegenden Gehirns ähnelten und, dass Veränderungen dieser Signale mit dem Fortschreiten von Krankheiten, wie Alzheimer und Schlaganfall, korrelierten. So könnten in Zukunft Gehirnentzündungen einfach durch das Scannen der Kopfoberfläche der Patient:innen überwacht werden.

Die Forscher:innen haben das Ziel, ihre Erkenntnisse in Form von nicht-invasiven Schädelaufnahmen in die klinische Praxis in Zukunft zu integrieren. Ali Ertürk erklärt die Auswirkungen für die Kontrolle von Krankheiten: "Die Gehirngesundheit könnte einfach mit tragbaren Geräten überwacht werden, was in der Anwendung sehr praktisch wäre." Das Team hofft, dass dieser Ansatz die Diagnose, Überwachung und möglicherweise sogar die Behandlung von neurologischen Störungen erheblich verbessern wird und uns einen Schritt näher zu einer effektiveren Bewältigung dieser schweren Krankheiten bringt.

Originalpublikation

Kolabas et al. (2023): Distinct molecular profiles of skull bone marrow in health and neurological disorders. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2023.07.009

Über Helmholtz Munich

Helmholtz Munich ist ein biomedizinisches Spitzenforschungszentrum. Seine Mission ist, bahnbrechende Lösungen für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Interdisziplinäre Forschungsteams fokussieren umweltbedingte Krankheiten, insbesondere die Therapie und die Prävention von Diabetes, Adipositas, Allergien und chronischen Lungenerkrankungen. Mittels künstlicher Intelligenz und Bioengineering transferieren die Forschenden ihre Erkenntnisse schneller zu den Patient:innen. Helmholtz Munich zählt mehr als 2.500 Mitarbeitende und hat seinen Sitz in München/Neuherberg. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, mit mehr als 43.000 Mitarbeitenden und 18 Forschungszentren die größte Wissenschaftsorganisation in Deutschland. Mehr über Helmholtz Munich (Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH): www.helmholtz-munich.de

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