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Helmholtz Zentrum München

Alternativer Bauplan: unheilbare Krankheiten auf RNA-Ebene behandeln

UNLEASH Projekt gestartet, um die Potentiale des RNA-Spleißens zu entfesseln

Zellen verwenden Bearbeitungswerkzeuge, um Informationen, die in der DNA unseres Genoms gespeichert sind, zu editieren oder neu anzuordnen. Dank eines mit 10 Millionen Euro dotierten ERC-Synergy-Grants, der gemeinsam durch den ERC und UKRI finanziert wird, haben Forscher:innen nun ein neues Projekt gestartet, um zu untersuchen, wie das Editieren (Spleißen) der RNA mit molekularer Präzision kontrolliert werden kann. Das neue Projekt hat das Potenzial, die biomedizinische Forschung zu revolutionieren und schließlich menschliche Krankheiten zu behandeln.

Man stelle sich vor, einen Film zum zweiten Mal anzuschauen, jedoch nimmt die Geschichte eine überraschende Wendung, zum Beispiel erscheint eine neue Szene oder eine andere Tonspur. Sie werden feststellen, dass es sich hier nicht um die Kinofassung handelt, die Sie zuerst gesehen haben, sondern um einen Director's Cut. Die Filmproduzenten haben scheinbar nicht nur eine, sondern zwei Versionen desselben Films geschaffen, jede mit ihren eigenen einzigartigen Szenen und Handlungssträngen.

Das Gleiche geschieht - auf molekularer Ebene - in jeder menschlichen Zelle. Zellen sind wie geniale Filmemacher. Sie verwenden einen Prozess, das sogenannte alternative Spleißen der Boten-RNA, als ihr kreatives Werkzeug. Genau wie Filmproduzenten eine Bearbeitungsleiste verwenden, um eine Szene zu kürzen, zu verlängern, oder die Abfolge zu verändern, verwenden Zellen ihre Bearbeitungswerkzeuge, um die Information bestimmter DNA-Segmente in der daraus hergestellten Boten-RNA auszutauschen, zu überspringen oder einzuschließen. Diese Fähigkeit ermöglicht es den Zellen, die Genexpression zu verändern oder unterschiedliche Versionen eines Proteins mit einzigartiger Aktivität zu erzeugen.

Menschen haben ungefähr 20.000 Gene in ihrem Genom. Dank des alternativen Spleißens können Zellen jedoch mehr als 100.000 Proteine herstellen. Dieser erweiterte Proteinkatalog hilft den Zellen, sich an veränderte Umgebungen anzupassen und komplexere Funktionen auszuführen. Es wird angenommen, dass fast 95 % der menschlichen Gene in irgendeiner Form alternativ gespleißt werden.

Die Kenntnis des alternativen Spleißens kann genutzt werden, um neue therapeutische Ziele zu finden und Krankheiten zu behandeln, die bisher als unheilbar galten, wie beispielsweise die spinale Muskelatrophie, eine der häufigsten Ursachen für Kindersterblichkeit. Trotz des aufkommenden Erfolgs von Therapien, die das alternative Spleißen regulieren, ist das mechanistische Verständnis, wie Wirkstoffmoleküle den Prozess des alternativen Spleißens beeinflussen sehr begrenzt. Kleine Wirkstoffmoleküle haben als Therapeutika deutliche Vorteile, da sie oral verabreicht und durch Zellmembranen hindurch in den Zellkern gelangen können, wo das alternative Spleißen stattfindet. Um die Entdeckung therapeutischer Ziele für andere zuvor als unheilbar betrachtete Krankheiten zu beschleunigen, benötigen Wissenschaftler:innen neue experimentelle Werkzeuge und Methoden, um die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen zu untersuchen und den Spleißcode zu entschlüsseln.

Hier setzt UNLEASH an, ein neues gemeinschaftliches Forschungsprojekt, das am 1. Juni 2023 startete. Das UNLEASH-Projekt wird durch einen mit 10,2 Millionen Euro dotierten ERC Synergy Grant unterstützt, der gemeinsam vom European Research Council (ERC) und UK Research and Innovation (UKRI) finanziert wird. Das Projekt zielt darauf ab, neue kleine Moleküle zu identifizieren und zu entwickeln, um den Code des Spleißens zu entschlüsseln und so gezielt alternatives Spleißen in den Zellen kontrollieren zu können. Das Projekt wird über einen Zeitraum von sechs Jahren laufen.

UNLEASH wird die übergreifenden Fachkenntnisse der Forschungsgruppen von Prof. Michael Sattler (Helmholtz Munich), Prof. David Gray und Prof. Angus Lamond (Universität Dundee), sowie Prof. Juan Valcárcel (Center for Genomic Regulation, Barcelona) zusammenführen, um einen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen, der chemische, strukturelle, zelluläre und systembiologische Methoden, sowie Deep-Learning und Verfahren der künstlichen Intelligenz miteinander verbindet.

Langfristig wollen die Forscher:innen kleine Moleküle identifizieren, entwickeln und verbessern, die das alternative Spleißen beeinflussen können. Hierzu wird deren Bindung an Proteinkomplexe, die das Spleißen vermitteln, strukturell untersucht, und mechanistische Modelle zur Kontrolle des Spleißens getestet. Die Daten werden verwendet, um neuronale Netzwerke zu trainieren, um den Code des alternativen Spleißens zu entschlüsseln und die Auswirkungen von kleinen Molekülen vorherzusagen. „Mit unserem Projekt hoffen wir, das einzigartige Potenzial von kleinen Molekülen als Spleißmodulatoren freizusetzen. Wir erwarten, dass die Ergebnisse die Grundlage schaffen, um neue Medikamente zur Bekämpfung von bisher unbehandelbaren Krankheiten entwickeln zu können", erklärt Michael Sattler, leitender Forscher von Helmholtz Munich.

Helmholtz Munich wird in dem Projekt vor allem seine herausragende Expertise in der integrativen Strukturbiologie zur Untersuchung der Struktur und Dynamik von Protein-RNA Komplexen und der Struktur-basierten Wirkstoffentwicklung einbringen, insbesondere mittels NMR-Spektroskopie in Kombination mit Röntgenstrukturanalysen und der Kryo-Elektronenmikroskopie. Das Projekt folgt der Vision von Helmholtz Munich durch die Erforschung grundlegender biologischer Prozesse innovative Ansätze für die Entwicklung neuer Wirkstoffe zu ermöglichen.

Helmholtz Zentrum München Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Ingolstädter Landstraße 1
D-85764 Neuherberg
Telefon: +49 89 3187-0
Internet:  www.helmholtz-munich.de
E-Mail:  presse@helmholtz-munich.de 

Geschäftsführung: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Matthias H. Tschöp, Daniela Sommer (kom.)
Registergericht: Amtsgericht München HRB 6466
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Aufsichtsratsvorsitzende: MinDir’in Prof. Dr. Veronika von Messling
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