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"Gefahr für Leib und Leben" - Führende Professoren für Motorentechnik kritisieren Rechtsprechung zu Dieselmotoren

Hamburg (ots)

In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren führende Professoren für Kraftfahrzeug- und Motorenentwicklung die jüngsten Urteile deutscher und europäischer Gerichte zu Dieselmotoren. Der Europäische Gerichtshof und zuletzt das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein hatten entschieden, dass das Ausnutzen von sogenannten "Thermofenstern" bei älteren Diesel-PKW nur sehr eingeschränkt zulässig sei. Vom Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein sind 62 ältere Diesel-Modelle verschiedener Marken des Volkswagen-Konzern betroffen. Insgesamt sind in Deutschland noch rund acht Millionen Diesel-PKW der Euro Norm 5 unterwegs. Erstmals berichtet das ARD Magazin Plusminus (NDR) über die Kritik der Wissenschaftler.

Die Urteile verletzen laut der Stellungnahme der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Kraftfahrzeug- und Motorentechnik (WKM) teilweise "in ihren zugrundeliegenden Annahmen wesentliche physikalische, chemische, ingenieurstechnische und weitere wissenschaftliche Grundsätze. Die Berücksichtigung dieser zwingenden Grundsätze ist unabdingbar, um einen reibungslosen Motorbetrieb überhaupt zu ermöglichen, um Verbraucherschutzanforderungen zu erfüllen, um die Betriebssicherheit zu gewährleisten und um Leib und Leben zu schützen." Die Stellungnahme liegt Plusminus (NDR) vorab vor.

Im konkreten Fall hatte die Deutsche Umwelthilfe gegen eine Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamts geklagt. Die Behörde hatte in einem Software-Update von Volkswagen eine ausreichende Nachbesserung für unzulässige Abschalteinrichtungen bei bestimmten Diesel-Motoren gesehen. Das Gericht folgte der Argumentation nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Thermofenster sind laut VG Schleswig-Holstein nur dann zulässig, wenn es "zur Vermeidung einer schweren Gefahr für den Motor und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig ist". Die Fachleute argumentieren, dieser Fall sei gegeben. "Thermofenster" seien für den Schutz des Motors und die allgemeine Betriebssicherheit unverzichtbar. Um weniger Abgase auszustoßen, werden bei der Diesel-Generation Euro 5 Abgase zur erneuten Verbrennung in den Motor geleitet. Diese so genannte Abgasrückführung funktioniert aber bei niedrigen Temperaturen nur eingeschränkt, deshalb reduziert die Motorelektronik dann diese Abgasrückführung, um Motorschäden oder sogar spontane Brände des Partikelfilters zu vermeiden.

Die Lehrstuhlinhaber argumentieren, dass es mit dem damaligen Stand der Technik nicht möglich gewesen sei, Dieselmotoren ohne das Herabsetzen der Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen und bei kurzen Touren dauerhaft und sicher zu betreiben. Diese Grundlagen und Grenzen dieser frühen Art der Abgasreinigung seien der Politik bei der Typzulassung der Euro-5 Generation bekannt gewesen.

Einer der Autoren der Stellungnahme, der Magdeburger Professor Hermann Rottengruber, erklärt im Interview mit dem ARD Magazin "Plusminus", dass ohne diese Reduzierung der Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen unter anderem das Abgasrückführventil nicht mehr funktioniere und es so zu einem plötzlichen Leistungsabfall kommen könne. Es sei immer das "Horrorszenario" der Hersteller gewesen, dass bei einem Überholvorgang der Motor versage und es so zu einem schweren Unfall komme: "Es ist aus ingenieurstechnischer Sicht vom Gericht nicht wertgeschätzt worden, dass es sich nämlich nicht nur um eine Schutzmaßnahme für das Aggregat handelt, sondern auch um eine Schutzmaßnahme für die Betriebssicherheit des gesamten Fahrzeugs." Eine technische Nachrüstung mit neueren Katalysator-Lösungen, wie zum Beispiel mit dem Harnstoff AdBlue, sei für die betreffenden Fahrzeuge nur schwer umsetzbar und führe auch zu einer temperaturabhängigen Wirkungsweise, die in den Urteilen kritisiert wird. "Das sind Systeme, die sehr aufwendig in die Motorensteuerung des Fahrzeugs integriert werden müssen. Das kann man jetzt nicht so einfach draufstecken."

Im Interview mit "Plusminus" kritisiert Prof. Rottengruber auch die alleinige Fokussierung der Politik auf Elektro-Autos. Weltweit würden noch sehr lange Verbrenner zugelassen und gefahren werden. Die Entscheidung, in der EU ab 2035 keine Verbrenner mehr zuzulassen, sei nicht die richtige Strategie. Auch das "bedingungslose Befolgen" dieser politischen Entscheidung durch deutsche Autohersteller hält er für einen Fehler. Es würde Know-How aus dem Land verschwinden und vor allem Wirtschaftskraft in Deutschland verloren gehen.

Sendetermin: "Plusminus", 7. Februar um 21.45 Uhr im Ersten und danach in der ARD Mediathek

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