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„Panorama“/NDR Info: Software verführt Ärzte, teure Medikamente zu verschreiben - über eine Milliarde Euro Schaden

Hamburg (ots)

Den Krankenkassen in Deutschland entsteht nach
Expertenmeinung ein jährlicher Schaden von über einer Milliarde Euro,
weil Pharmahersteller Computerprogramme in Arztpraxen so gestalten
lassen, dass ihre Produkte begünstigt werden. „Ärzte merken im
Prinzip nicht, dass sie auf ein Glatteis geführt werden, also von den
Firmen in eine falsche Richtung gelenkt werden. Und das nennt man ja
wohl Manipulation,“ so Prof. Dr. Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte
der Universität Bremen, gegenüber dem NDR Politmagazin „Panorama“
(Sendung: Donnerstag, 25. November, 21.45 Uhr im Ersten) und dem
Radioprogramm NDR Info.
Den Schaden, der den Versicherten durch solche Computerprogramme
entsteht, beziffert der Experte auf bis zu 1,2 Milliarden Euro. Der
durchschnittliche Kassenbeitrag könnte ihm zufolge von 14,2 auf 14,1
Prozent sinken, wenn Ärzte neutrale Software verwenden müssten.
Vertreter der Pharmaindustrie wiesen den Vorwurf der Manipulation
zurück.
Vor allem die großen Hersteller von Nachahmerpräparaten verfolgen
nach „Panorama“-Informationen durch sogenannten „Werbe“- oder
„Sponsorenverträgen“ mit Software-Unternehmen das Ziel, ihre
jeweiligen Produkte in den Praxisprogrammen bevorzugt zu
präsentieren. Ärzte sollen so verleitet werden, immer die Medikamente
des Sponsors“zu verschreiben.
Nach Recherchen von „Panorama“ und NDR Info stellen mehr als 70
Prozent aller niedergelassenen Ärzte in Deutschland ihre Rezepte
mithilfe solcher Programme aus. In einigen Programmen wird bei der
Eingabe einer Diagnose dem Arzt bereits ein Präparat des Sponsors
vorgeschlagen. Mitunter erscheint selbst auf der Liste der
preiswertesten Medikamente automatisch ein Produkt des Sponsors an
erster Stelle, obwohl billigere Vergleichspräparate existieren.
Die betroffenen Pharmaunternehmen erklärten gegenüber „Panorama“
und NDR Info, der Arzt könne auch mit diesen Programmen stets frei
entscheiden, welche Medikamente er verschreiben wolle. Sie hielten
diese Praktiken für rechtlich zulässig.
Von der Pharmaindustrie gesponserte Software wird „Panorama“
zufolge Ärzten häufig mit Rabatten angeboten. Nach Darstellung von
Prof. Bruno Müller-Oerlinghausen, Chef der Arzneimittelkommission der
Bundesärztekammer, wird derartige Software im Wert von mehreren
Tausend Euro teilweise sogar an Ärzte verschenkt. „Da dieses Geschenk
mit einer Einflussnahme auf die Verordnungsweise verbunden ist, muss
man berufsrechtlich die Frage diskutieren, ob es sich hier nicht um
eine Art von Bestechung handelt“, sagte er „Panorama“ und NDR Info.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hält Praxissoftware, die
das Verordnungsverhalten von Ärzten beeinflusst, ebenfalls für
problematisch. In der „Panorama“-Sendung fordert sie die Kassenärzte
auf, sich gegen jede mögliche Einflussnahme durch Computerprogramme
zur Wehr zu setzen: „Ich würde mir wünschen, dass auch die
Ärzteschaft sich sehr viel stringenter gegen den Einfluss der
Pharmafirmen wehren würde“, sagte sie.
Die Vertretung der Ärzte, die Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV), lehnte eine Verantwortung für den Missstand ab. „Wir sind
nicht das Polizeigremium der Ärzte, das kontrolliert, was in den
Praxen geschieht“, so Roland Stahl, Sprecher der KBV, in „Panorama“.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will diese Haltung nicht
hinnehmen. „Wir werden Gespräche mit der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung führen“, sagte sie „Panorama“ und NDR Info. Von
manchen Ärzten werde gar nicht gesehen, „wie unter der Hand
Beeinflussung stattfindet.“ Sie wolle Anfang Dezember Vertreter der
Ärzteschaft zu einem Gespräch über das Problem der Ärzteprogramme
laden.
25. November 2004 / IB
ots-Originaltext: NDR Norddeutscher Rundfunk
Digitale Pressemappe: 
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=6561

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