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Landeszeitung Lüneburg: Aufstieg durch Anpassung - Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier hält Juso-Attacken für ein inszeniertes Schauspiel

Lüneburg (ots)

Aufstieg durch Anpassung - Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier hält Juso-Attacken für ein inszeniertes Schauspiel

Herr Heinzlmaier, Sie halten junge Politiker für so angepasst wie noch nie und Kevin Kühnert für einen verkappten Martin Schulz, nur jünger. Wieso halten Sie den Juso-Chef für angepasst, obwohl er die alten Genossen vor sich her treibt?

Bernhard Heinzlmaier: Ob er sie tatsächlich vor sich her treibt, würde ich mal infrage stellen. Jeder Juso-Vorsitzende inszeniert ein Schauspiel der Kritik. Das endet in der Regel in der Parteiführung. Andrea Nahles zum Beispiel hat das gleiche Spiel gespielt. Sie war zu Beginn eine kritische Juso-Frau, heute ist sie die Vertreterin des Establishments. Meine These ist: Es handelt sich um typische politische Rollen. In der Jugend ist man kritisch. Doch mit der Zeit schleift sich das ab und ein. Und irgendwann ist man Bestandteil des Establishments.

Sie sprechen von Aufstieg durch Anpassung. Welchen Weg sollte ein junger Politiker ihrer Meinung nach sonst gehen?

Heinzlmaier: Politik ist ohnehin schon eine negative Auslese. Blickt man auf entsprechende Studien nicht nur in Deutschland, gibt es keinen vergleichbaren Zeitraum, in dem Politik ein so schlechtes Image hatte. Viele gut ausgebildete junge Menschen machen heute lieber Karriere in der Wirtschaft oder der Wissenschaft. Sie meiden den Weg in die Politik, weil sie Angst davor haben, dass sich ihr persönliches Image, ihr Ruf verschlechtert. Es ist also eine negative Auslese. Meine These ist daher, dass sich nur jene jungen Menschen der Politik zuwenden, die entweder romantisierende Gesellschaftskritiker sind, Lust an der Negation haben oder sich nicht vorstellen können, woanders Karriere machen zu können, weil sie sich dafür nicht qualifiziert genug fühlen.

Was halten Sie vom Vorschlag des Forschers Klaus Hurrelmann, wonach Parteien eine Mindestquote von 20 Prozent für Funktionäre unter 30 einführen sollten?

Heinzlmaier: Das ist nicht zielführend. Man kann nicht mit technischen Mitteln ein kulturelles Problem lösen. Und das Problem ist, dass Politik nicht attraktiv genug ist für junge Menschen. Das ändert auch eine Quote nicht. Die 20 Prozent würde man auffüllen müssen mit ungeeigneten Kräften, mit jungen Menschen, die sich gerne unterwerfen, die sich hochdienen wollen, die die Erwachsenentradition in der Politik fortführen würden. Was eine Partei verändern kann, ist der Aufstand der Basis oder die Öffnung hin zur Zivilgesellschaft, wo es noch Menschen gibt, die noch vernünftig denken, die noch authentische Ansichten haben und nicht nur Parteikarrieristen sein wollen.

Wie passt ihre Analyse über den Zustand der Jugendlichen mit den Ergebnissen der Shell-Jugendstudie, die immerhin als Referenzwerk gilt, oder der Studie der Brüsseler Denkfabrik FEPS zusammen, wonach die Jugend politisch deutlich interessierter ist als noch vor 10, 15 Jahren, Politikern aber misstraut?

Heinzlmaier: Wenn man sich zum Beispiel die Reihe der Shell-Studie anschaut, sieht man große Schwankungen. Jetzt ist das Interesse an Politik ein paar Prozentpunkte gestiegen. Das feiert man gleich, obwohl der Anteil der Minderheit, die politisches Interesse zeigt, sich nur leicht erhöht hat. Die Mehrheit zeigt keine Bereitschaft, sich in den politischen Parteien - so wie sie heute sind - zu engagieren. Und es ist ein großer Unterschied, ob man sich politisch interessiert oder ob man sich in Parteien engagieren will. Wir sehen in unseren Studien, dass die Bereitschaft zum Engagement in Parteien, also tatsächlich mitzumachen, sich dem Politik-Betrieb auszusetzen, sinkt.

Sie haben die Jugend auch schon mal generell als Ansammlung angepasster Karrieristen bezeichnet. Nicht wenige fühlen sich verunglimpft. Was antworten sie denen?

Heinzlmaier: Wir haben eine arbeitszentrierte Gesellschaft, nie zuvor stand Arbeit so im Mittelpunkt des Lebens wie heute. Meine Diagnose lautet: Wir haben eine angepasste Jugend, die adaptiv-pragmatisch ist. Die sehr kalkuliert, sehr überlegt ist. Die versucht, einen Weg im Beruf zu gehen, um möglichst für sich viel herauszuholen. Ich finde das nicht unbedingt negativ. Denn die jungen Menschen verhalten sich so, wie man sich heute verhalten muss, um Erfolg zu haben, egoistisch. Die Frage ist, welche Verhaltensweisen gesellschaftlich vorgegeben werden und welche Verhaltensweisen funktional sind. Am Ende sind es Systemfragen und nicht moralische Fragen. Wir haben ein neoliberales System, das bestimmte Verhaltensweisen vorgibt. Es wird von Prinzipien, von den Imperativen der Ökonomie beherrscht. Das System gibt etwas vor, und die Menschen machen das nach. Ich würde das nicht moralisch abqualifizieren. Vielmehr widerspiegelt das angepasste Verhalten nur das sozio-kulturelle System, in dem wir heute leben.

Kann man sagen, dass Konformismus eine Art Sekundärtrieb ist, dem sich niemand entziehen kann?

Heinzlmaier: Ich würde nicht von einem Sekundärtrieb sprechen. Konformismus ist das, was unsere Bildungsinstitutionen, was unsere ganze Kultur des Zusammenlebens heute von uns verlangt. Der wichtigste Trieb des Menschen ist der Trieb nach persönlichem Nutzen. Man will das Leben möglichst lustvoll erleben. Der Konformismus belohnt diesen Trieb in diesem System. Wer sich konform verhält, wird belohnt. Deshalb verhalten sich die Menschen konform. Früher hat man oft gesagt, dass man sich abweichende Charaktere sucht. Oder Rebellen, Innovatoren, Menschen die die Realität gegen den Strich bürsten. Das ist vorbei. Heute haben wir ein Schul- und Universitätssystem und auch eine Arbeitswelt, in der Anpassung belohnt wird. Da ist es doch klar, dass sich die Leute anpassen. Der Mensch ist aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse so, wie er ist.

Wenn man die Jugend befragt, gibt es aber ein anderes Bild: Viele sagen der Job sei nur Mittel zum Zweck. Und ganz oben auf der Agenda der Jugend stehe Chancengleichheit. Das klingt eher nicht danach, nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, oder?

Heinzlmaier: Auch das halte ich für einen Mythos. Wir sehen Milieus, wo der Job tatsächlich Mittel zum Zweck ist, wo die Identität der jungen Leute eine Freizeit-Identität ist. Es geht darum, lustvoll Freizeit zu erleben. Der Job ist nur dazu da, Ressourcen dafür zu generieren. Es gibt aber andere Milieus, in denen der Job das Zentrum des Lebens ist, wo der Job in Verbindung mit Selbstverwirklichung gebracht wird. Dann gibt es Milieus, die sagen, das Ziel meines Lebens liegt im Erfolg für den Job, für den tue ich alles. Die Work-Life-Balance ist nicht in allen Milieus ausgeprägt. Es gibt Milieus in denen es darum geht, möglichst Ungleichheiten herzustellen und in diesen ungleichen Situationen möglichst an die Spitze zu kommen. Es gibt also nicht das eine Milieu. Es sind leider Verallgemeinerungen von einzelnen Tendenzen, die immer wieder in den Medien zu finden sind.

Kennen sie einen Menschen, der Revoluzzer geblieben und nicht angepasst ist?

Heinzlmaier: Statistisch sind nur rund zehn Prozent der jungen Menschen noch revoluzzerisch. Das wissen wir aus vielen Studien. Es handelt sich um eine Minderheit. Diese Revolten finden aber weniger in der Politik statt, denn das ist eher der Ort des Konventionalismus. Die Popkultur ist hingegen nach wie vor ein Ort der Rebellion. Es gibt natürlich auch dort einen konventionellen Mainstream, aber eben auch Segmente, die sehr rebellisch sind.

Kann man auch sagen, dass neue Medien eher mal den Revoluzzer herausholen?

Heinzlmaier: Da bin ich mir nicht sicher. Neue Medien sind eher emotional kühle Orte. Hier werden Argumente ausgetauscht. Emotionen entstehen aber eher dort, wo Menschen tatsächlich zusammenkommen, wo sich Handeln in der sozialen Realität vollzieht. Wo man körperlich anwesend ist, wo man Widerstand auch körperlich erfahren kann, wo man Gemeinschaft direkt erfahren kann. Der Social-Media-Bereich ist eher eine Art Beruhigungspille, wo sich jeder in seine Blase begibt, in der seine Meinung widergespiegelt wird. Rebellisch werden Leute eher dort, wo sie mit dem konfrontiert werden, was sie ablehnen.

Gehen wir mal gut 2400 Jahre zurück. Der Philosoph Sokrates soll damals gesagt haben: Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Was trifft 2018 noch zu?

Heinzlmaier: Da trifft gar nichts mehr zu. Die große Mehrheit der Jugendlichen unterwirft sich der Autorität und hat gute Manieren. Sie ist gut angezogen, hat modische Frisuren, sagt Bitte und Danke, weiß, wie man sich benimmt. Sie agiert kalkulierend. Was der Jugend vielleicht fehlt, ist der Eros des Verändern wollens. Der Eros des Widerstandes, die Lust am spontanen Engagement, sich mitreißen lassen vom Gefühl des Aufbruchs. Die Jugend war früher spontaner, heute ist sie sehr kalkulierend. Das sehe ich durchaus wertfrei. Es ist keine Jugendschelte, sondern die Feststellung, dass Jugend aufgrund der anderen Rahmenbedingungen, unter denen sie heute leben muss, eben anders ist als die Jugend vor 2400 Jahren oder vor 60 Jahren.

Sie wurden schon als "Prophet des Vorurteils" bezeichnet, der die Jugend verunglimpft. Trifft sie diese Kritik?

Heinzlmaier: Was soll ich Ihnen dazu sagen? Es ist nicht meine Intention, die Jugend zu verunglimpfen. Ich habe oft das Gefühl, missverstanden zu werden. Manchmal liegt es wohl auch daran, wie ich manche Dinge gesagt habe, wie ich mich ausgedrückt habe. Ich versuche dann, präziser zu werden. Wenn sich jemand bemüht, mich zu verstehen, wird er eher nicht zu dem Urteil kommen, ich sei ein Prophet des Vorurteils. Um es auf den Punkt zu bringen: Meine Kritik ist keine Kritik an der Jugend, sondern an der Gesellschaft.

Das Interview führte

Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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