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Landeszeitung Lüneburg: Alle wollen in die Stadt
Wirtschaftswissenschaftler Matthias Günther über Wohnungsnot, steigende Mieten und die Rolle der Politik

Lüneburg (ots)

Der Deutsche Mieterbund schlägt Alarm: Deutschland hat mit einer neuen Wohnungsnot zu kämpfen. Die Nachfrage übersteigt das Angebot und viele Menschen können die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen. Darüber sprach unsere Zeitung mit Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts in Hannover.

Wie schlimm ist die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt wirklich?

Matthias Günther: Die Lage ist vor allem in den Städten sehr schlimm, gerade in den Universitätsstädten. Durch die Einführung des verkürzten Abiturs sind ja viel mehr Studenten an die Universitäten geschickt worden. Die Studentenzahl hat innerhalb von fünf Jahren um gut 550.000 zugenommen. Im Vergleich zu 2007/2008 werden hierfür 60.000 Wohnheimplätze und 200.000 Wohnungen zusätzlich benötigt. Dazu kommt, dass Familien in den Städten bleiben. Früher sind die jungen Familien aufs Land gezogen und haben sich ein Einfamilienhaus gekauft. Das passiert noch, aber immer weniger. Dazu kommt, dass die Einstiegsgehälter in vielen Bereichen gesunken sind und häufig nur mit Zeitverträgen eingestellt wird. Ein Haus im Grünen ist durch diese Unsicherheiten praktisch nicht mehr finanzierbar - auch durch die gestiegenen Energiekosten. Ein weiterer Aspekt, warum es in den Städten immer enger wird, ist auch die wieder auflebende Zuwanderung.

Künftig sollen Eigentümer bei Neuvermietungen höchstens zehn Prozent mehr als die Vergleichsmiete verlangen dürfen. Ist das ein Mittel, um die Explosion der Mietpreise zu stoppen?

Günther: Kurzfristig kann man damit eingreifen, aber ich weiß nicht, wie man das kontrollieren will. Man will aber langfristig auch Investitionen in dem Bereich haben. Doch je mehr ich eingreife und reguliere, desto unattraktiver werden Investitionen. Die Politik hat in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert, dass der Bereich Wohnen stärker dem Markt unterworfen wird. Das Ergebnis haben wir jetzt. Der Markt liefert immer ein Ergebnis, das ist aber nicht unbedingt sozialverträglich.

Milliardenförderung aus staatlichen Mitteln, Neubau-Förderungen, Steuererleichterungen für Bauherren, höheres Wohngeld - welche dieser Maßnahmen könnte am ehesten greifen?

Günther: Das Thema Abschreibung ist ein ganz Wesentliches. Im Moment ist es so, dass man eine neue Wohnimmobilie erst in 50 Jahren abschreiben darf - linear zwei Prozent pro Jahr. Das entspricht nicht mehr der Realität. Wenn man auf vier Prozent verdoppelt, hätte man das Ganze nach 25 Jahren abgeschrieben. Aber Sie können davon ausgehen, dass nach 25 Jahren bei einer Wohnimmobilie auch wieder Investitionen notwendig sind. Wir haben genügend Gewerbeimmobilien, die nach 25 Jahren wieder abgerissen werden, weil sie nicht mehr dem entsprechen, was jetzt gefragt ist. Diese lange Abschreibungsfrist ist für den privaten Investor kein überschaubarer Zeitraum.

Neben den Engpässen in den Ballungsräumen gibt es in ländlichen Regionen zunehmend Leerstände. Wird die Infrastruktur in schrumpfenden Regionen vernachlässigt?

Günther: Die ländlichen Räume leiden inzwischen viel stärker unter der Alterung, als es in den Städten der Fall ist, weil die jungen Leute vom Land in die Städte ziehen. Es kommt keiner mehr zurück. Die fatale Situation im ländlichen Raum ist, dass es immer schwieriger wird, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Ich sehe im Moment nichts, was den ländlichen Raum beleben könnte, dazu brauche ich Arbeitsplätze. Die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte haben immer versucht, möglichst viele Menschen in Wohneigentum zu bringen. Und jetzt haben wir viele Leute im ländlichen Raum, die sich ihr Wohneigentum nicht mehr leisten können. Die sitzen auf viel zu großen Wohnflächen und sind nicht in der Lage die Häuser zu modernisieren, weil sie das Geld nicht haben und auch keine Kredite bekommen.

Mieten steigen häufig auch durch Sanierungsmaßnahmen. Sollten die Kosten für energetische Sanierungen nicht von Mieter, Vermieter und Staat zu gleichen Teilen gestemmt werden?

Günther: Die Frage ist, wie wichtig uns allen die energetische Sanierung ist. Der Bund möchte ja bis zum Jahr 2050 einen sogenannten Nahe-Null-Energie-Wohnungsbestand haben. Das ist jedoch derart aufwendig, dass es bei den heutigen Energiepreisen nicht mehr wirtschaftlich ist. Wenn ein Haus energetisch modernisiert wird, dann wird es meist auch in anderen Bereichen modernisiert. Es gibt Beispiele, wo die Miete um zwei Euro pro Quadratmeter steigt und die Einsparung nur 30 Cent beträgt. Es ist dann letztendlich eine deutliche Mieterhöhung. Wer am Ende zahlen soll, ist schlichtweg eine politische Frage.

Während bei luxuriösen Wohnbauprojekten die teuren Objekte oft schnell vergeben sind, fehlt es an sozialem Wohnungsbau. Sollten hier nicht steuerliche Anreize für Investoren erhöht werden?

Günther: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sind gar nicht in dem Maße vorhanden, wie sie benötigt werden. Der soziale Wohnungsbau ist in den Verantwortungsbereich der Länder übergegangen. Der Bund hat sich dann verpflichtet, pro Jahr 518 Millionen Euro an die Länder zu zahlen. Das war früher der Anteil des Bundes. Die Länder müssen dann noch eigenes Geld drauflegen, was sie jedoch in weiten Teilen nicht getan haben. Sozialer Wohnungsbau fand in den vergangenen Jahren praktisch nur in Hamburg, Schleswig-Holstein, Bayern und Nordrhein-Westfalen statt. Wir werden die Jahre des versäumten sozialen Wohnungsbaus nicht aufholen können. Langfristig wird man vermutlich nicht darum herumkommen, die Wohnflächen zu reduzieren und enger zusammenzurücken.

Der schrittweise Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung hat zur Wohnungsnot beigetragen. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Günther: Auf jeden Fall. Es gibt überhaupt keine Koordination mehr. Das Schlimmste ist, dass der Bund so tut, als hätte er mit Wohnungsbau-Förderung nichts mehr zu tun. Was aber nicht stimmt. Der Bund ist immer noch für die Abschreibungsregeln zuständig sowie für die gesamte KfW-Förderung. Es gab vor Jahren ein Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau, vom Bund abgesegnet und mit finanziert, zum altengerechten Umbauen. Das hat der Bund wieder eingestellt, obwohl der Bundesbauminister in einer eigenen Broschüre feststellte, dass es in diesem Bereich einen Investitionsbedarf von 39 Milliarden Euro gibt.

Laut Mieterbund gibt es schon Tendenzen, dass Mieter aus Städten vertrieben werden. Kann die Wohnungsnot in Großstädten den sozialen Frieden gefährden?

Günther: Das tut sie schon. Wenn ein solches Thema zum Wahlkampfthema wird, dann heißt das, dass es Versäumnisse gibt. Der soziale Frieden wird massiv gestört, wenn Alteingesessene aus den Innenstädten vertrieben werden, wie zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg oder -Friedrichshain. Die Zuzüge kommen vor allem aus Westdeutschland und dem Ausland. Da kommen einfach zahlungskräftige Kunden, die die zahlungsschwächeren verdrängen.

2011 entfielen 34,4 Prozent der Konsumausgaben der Haushalte auf Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung. Arbeiten wir künftig nur noch, um Wohnen zu können?

Günther: Die Privathaushalte haben ja ihre Ausgabenblöcke für Mobilität, fürs Wohnen, für Energie, Bekleidung oder Nahrungsmittel. Sie werden schon selber entscheiden, wie viel sie wofür ausgeben. Was sicher kommen wird, ist die Reduzierung der Wohnfläche, um Kosten zu sparen. Es ist egal, ob ich nun energetisch saniere und mehr bezahle oder ob ich langfristig deutlich höhere Energiekosten zahle. Was ich erwarte, ist eine Zunahme von Modellen des gemeinschaftlichen Wohnens, weil es ansonsten für viele nicht mehr bezahlbar ist. In den Großstädten werden bereits vermehrt Wohngemeinschaften gegründet - außerhalb des studentischen Milieus von ganz normalen Erwerbstätigen.

Die Union fordert mehr Wohnungsbau, die SPD will bei Neuvermietungen eine maximale Erhöhung der Miete um 10 Prozent, die Grünen fordern, dass derjenige den Makler bezahlt, der ihn beauftragt hat. Welche Partei hat die besten Konzepte, um das Wohnungsproblem zu lösen?

Günther: Eigentlich haben sie alle kein Konzept. Sie kurieren an Symptomen herum. Eine Forderung nach mehr Wohnraum kann ich auch stellen, ich muss sie nur mit Maßnahmen hinterlegen. Man könnte zum Beispiel sagen, wir verdoppeln die Abschreibung. Egal was die machen wollen - es kostet alles Geld. Die Forderungen von SPD und Grünen dürften in der aktuellen Mangelsituation kaum kontrollierbar sein.

Das Interview führte Burkhard Trapp

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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