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Landeszeitung Lüneburg: Krieg aus der Ferne per Joystick
Experte Dr. Schörnig mahnt Debatte über Grenzen der Automatisierung von Waffensystemen an

Lüneburg (ots)

Unbemannte Flugzeuge haben die Kriegführung verändert. Der Krieg gegen Terroristen am Hindukusch etwa wurde durch Drohnen zu einem per Joystick aus 11.000 Kilometer Entfernung. "Was viele noch für Science Fiction halten, wird von der Realität lÌngst übertroffen", sagt Konfliktforscher Dr. Niklas Schörnig. Aber: "Es ist gefährlich, einem Chip die Entscheidung Ïber Leben und Tod zu überlassen."

Die israelische Luftwaffe will 2030 die Hälfte ihrer Kampfeinsätze unbemannt fliegen. Sind Drohnen die Zukunft des Luftkrieges?

Dr. Niklas Schörnig: Sie sind schon die Gegenwart. In den meisten Szenarien sind Drohnen aus militärischer Sicht wesentlich effizienter als bemannte Flugzeuge. Seit etwa 2000 haben wir einen ganz starken Trend hin zum unbemannten Flugapparat. Und dieser Trend wird sich verstärken.

Werden Domänen bleiben, in der Piloten nicht durch Drohnen ersetzt werden können?

Dr. Schörnig: Die langfristigen Planungen sehen vor, dass in allen Bereichen Drohnen eingesetzt werden -- sogar im Transportwesen. Allerdings wird im Bereich Transportflüge derzeit am wenigsten geforscht, weil die Nachfrage eher in Richtung Kampfdrohne geht und es noch viele rechtliche Fragen bei der Integration von Drohnen in den zivilen Luftraum gibt. Aber prinzipiell steht dem nichts im Wege.

Wie sieht es aus im Bereich Luftkampf?

Dr. Schörnig: Der "Dogfight" genannte Kurvenkampf bereitet derzeit technisch noch große Schwierigkeiten. Aber auszuschließen ist nicht, dass auch hier zumindest mittelfristig unbemannte Systeme vorrangig eingesetzt werden. Zumal dies die Planungen der US-Streitkräfte auch so vorsehen.

In Libyen ergänzten sich Drohnen und bemannte Luftfahrzeuge arbeitsteilig. Ist dies nur Zeichen einer Übergangsphase oder wird es immer Piloten vor Ort geben müssen?

Dr. Schörnig: Man hatte ganz schlicht nicht genug unbemannte Systeme. Die Amerikaner wären die einzigen, die genügend Drohnen hätten stellen können, aber derzeit sind auch noch sehr viele Systeme in Afghanistan gebunden oder werden für Luftschläge in Pakistan eingesetzt.

Die Piloten äußerten sich sehr zufrieden, dass die Lage vor Ort aufgeklärt war...

Dr. Schörnig: ...Das ist der Vorteil, den Drohnen bieten: eine zeitnahe, sehr präzise Aufklärung auf dem Gefechtsfeld, die zielgenaue Angriffe erleichtert. Ein Aspekt, der den Siegeszug der Drohnen in den Luftwaffen zumindest verlangsamen könnte, ist der Fliegerstolz. In den US-Streitkräften treten Widerstände auf, weil in den Augen der Soldaten ein Drohnen-Pilot nicht den gleichen Rang einnimmt wie ein Kampfjet-Pilot. Es kann also sein, dass aus historischen Gründen noch länger bemannte Flugzeuge vorgehalten werden. Doch auch der Libyen-Feldzug warf aus Sicht westlicher Politiker und Militärs die Frage auf, warum man in umkämpften Gebieten überhaupt noch den Einsatz bemannter Flugzeuge riskieren will. Wenn nur eine Hubschrauber-Drohne verloren geht -- wie über Libyen --, müssen keine Beileidsbriefe an Hinterbliebene geschrieben werden. Das Aufklärungsgeschwader "Immelmann" in Jagel hat den ersten EuroHawk ausgeliefert bekommen. Ist die Bundeswehr auf der Höhe der Zeit? Dr. Schörnig: Technologisch hat Deutschland damit die technologisch leistungsfähigsten Systeme im Bestand. Allerdings spielen z.B. die USA oder Israel in einer gänzlich anderen Liga, vergleicht man die Anzahl der Drohnen, die für Langzeitaufklärung geeignet sind. Bei der Einsatzfähigkeit ebenso, denn dazu gehören Übung und Erfahrung, die in der Bundeswehr erst jetzt gesammelt werden können.

Zwei gegenläufige Trends sind zu beobachten: Einerseits werden die Drohnen immer kleiner, etwa bis auf Krähengröße, andererseits werden sie größer und schwerer bewaffnet. Welcher Trend setzt sich durch?

Dr. Schörnig: Es gibt noch einen dritten Trend, und der lautet: Automatisierung. Immer weniger Entscheidungen werden vom menschlichen Piloten am Boden getroffen. Immer mehr Entscheidungsgewalt geht auf das System über. Die drei Trends lassen sich kombinieren, schließen sich gegenseitig nicht aus. Kleine Drohnen haben für die Soldaten taktische Vorteile, weil sie auch von Infanterie mitgeführt werden können, um auf dem Gefechtsfeld den Feind hinter dem nächsten Hügel entdecken zu können. Größere, länger fliegende Systeme mit stärkerer Bewaffnung können zudem größere strategische Ziele angreifen. Ein übergreifender Trend ist, dass Drohnen jeglicher Größe bewaffnet werden, um bei den Einsätzen flexibler agieren zu können. Umstritten ist, wie weit man mit der Automatisierung gehen will. Was bedeutet es, wenn ein Computer über einen Waffeneinsatz entscheidet? Soll er über Leben und Tod entscheiden können? Kann man ihm die Entscheidung überlassen angesichts der Gefahr, dass er mit einem Virus infiziert werden kann, wie wir es jetzt aktuell bei den US-Drohnen erlebt haben? Die Debatte, ob wir den Menschen wirklich komplett aus dem System herausnehmen wollen, muss auch in Deutschland geführt werden.

Trotz besserer Aufklärung durch Drohnen: Steigt die Gefahr unbeabsichtigter Tötung von Zivilisten beim ferngesteuerten Krieg?

Dr. Schörnig: Ich würde sagen, ja, weil das Problem nicht die Zielgenauigkeit der Waffen ist, sondern die fehlende Möglichkeit, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Woran erkenne ich einen irregulären Kämpfer, woran einen Verbündeten oder gar einen Zivilisten, wenn alle zivil gekleidet sind und eine Waffe -- oder etwas, was ich für eine Waffe halte, z.B. einen langen Stab -- tragen? Das ist für Soldaten vor Ort schon sehr schwer -- für einen Piloten Tausende Kilometer entfernt aber noch viel schwerer,

Ist das nicht ein generelles Problem in aktuellen und künftigen asymmetrischen Konflikten?

Dr. Schörnig: Ja, wobei es eines ist, das durch eine extreme Technologiegläubigkeit in den Hintergrund gedrängt wird -- zumindest in einigen Staaten. Wir können genau aufklären, wir können präzise angreifen. Da gerät eine schwierige Frage leicht in Vergessenheit: Wen greifen wir eigentlich an und warum? Besonders problematisch ist diese Frage, wenn man sie sich von der CIA beantworten lässt und nicht von Militärs -- wie derzeit in Pakistan.

Bleibt die Psyche des Drohnen-Piloten unbelasteter als die eines Bomber-Piloten oder ist das Gefühl, sich um eigenes Risiko "herumzumogeln" nur eine andere Form der Belastung? Dr. Schörnig: Leider gibt es zu dieser Frage noch keine belastbaren Studien, zumindest keine, die veröffentlicht worden sind. Denkbar ist nach ersten Erkenntnissen durchaus, dass die Belastung für den Drohnen-Piloten höher ist als für den Jet-Piloten, weil er in hoher Auflösung beobachten kann, was die von ihm abgefeuerte Rakete anrichtet. Der Jet-Pilot hingegen dreht ab, nachdem er den Knopf gedrückt hat. Verschärfend ist auch die surreale Erfahrung der Drohnen-Piloten, am Nachmittag tödliche Kriegshandlungen ausgeübt zu haben und am Abend mit Frau und Kindern ein ganz friedliches Familienleben zu pflegen. In dieser Form haben Soldaten das noch nie erlebt.

Fliegen die Drohnen in einer völkerrechtlichen Grauzone? Sind gezielte Tötungen mit Killerdrohnen Morde oder Kriegshandlungen?

Dr. Schörnig: Die Drohne als Instrument ist völkerrechtlich zunächst nicht problematisch. Sie ist einem bewaffneten Flugzeug gleichzusetzen. Jedes Mal abzuklären ist aber die Frage, ob der befohlene Drohneneinsatz völkerrechtlich zulässig ist oder nicht. So ist die Tötung von mutmaßlichen Terroristen in Pakistan, die akut keine Gefahr darstellen und sich in dem Moment auch nicht an Kampfhandlungen beteiligen, völkerrechtlich hochgradig problematisch. Es macht aber keinen Unterschied, ob dieser Einsatz dann mit dem Flugzeug oder mit der Drohne erfolgt.

Senkt die Automatisierung des Krieges die Schwelle für die Anwendung militärischer Gewalt?

Dr. Schörnig: Ja, das ist zu befürchten. Das erkennt man am Beispiel Libyen: Der US-Kongress fragte vor Monaten bei US-Präsident Obama nach, wann er denn eine Autorisierung für die Kampfhandlungen über Libyen vom Kongress einhole, schließlich sei dies doch mit einer zustimmungspflichtigen Kriegshandlung gleichzusetzen. Das Weiße Haus ließ den Kongress abblitzen mit der Begründung, es seien keine US-Soldaten in Gefahr, ergo könne man nicht von einem Krieg reden. Das zeigt doch deutlich, wie die Automatisierung des Krieges die parlamentarische Kontrolle aushebelt. Unter Obama stieg die Zahl der Drohneneinsätze im Vergleich zur Ära Bush nochmal deutlich. Für ihn ist dies die Waffe seiner Wahl.

Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

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Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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