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Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: ,,Der Westen muss genauer hinschauen" -- Interview mit der Russland-Experten Dr. Gabriele Krone-Schmalz, die mehr Offenheit und Vertrauen gegenüber Russland anmahnt.

Lüneburg (ots)

Wie beurteilen Sie den Streit um das neue Mediengesetz Ungarns, zumal Ungarn nun auch die EU-Ratspräsidentschaft innehat?

Dr. Gabriele Krone-Schmalz: Ich frage mich, wie die Reaktionen ausfallen würden, wenn es um Russland ginge. Sie würen vermutlich heftiger und wären uns die eineoder andere Sondersendung wert.

Wird die EU von ihren Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch machen, solange Ungarn den Ratsvorsitz innehat?

Krone-Schmalz: Das weiß ich natürlich nicht. Allerdings bin ich eher skeptisch, was Sanktionen durch die EU betrifft. Das klappt ja bei den Stabilitätskriterien für den Euro auch nicht. So schön der Traum von einem vereinten Europa ist, und so sehr wir auch als Deutsche darauf angewiesen sind, es scheint mir eine Menge Heuchelei in der politischen Diskussion zu sein. Denn jeder weiß, dass die einzelnen Länder gerade wirtschaftspolitisch höchst unterschiedliche Interessen haben. Die Volkswirtschaften und nicht zuletzt die Prioritäten, die Menschen eines Landes für sich setzen, sind nach wie vor sehr unterschiedlich. Alle die im Vorfeld des Euro gewarnt haben, wurden mit dem Vorwurf kaltgestellt, sie wollten Europa nicht. Für mich sind diejenigen, die Probleme deutlich ansprechen, die besseren Europäer und nicht zuletzt auch die besseren Demokraten.

Zurück zum Thema Pressefreiheit. Auch Russland und Weißrussland zählen zu den Ländern, in denen es Journalisten schwer haben. Das Europäische Parlament hat nach der Ermordung der Tschetschenien-Expertin Anna Politkowskaja Umgang Russlands mit Journalisten verurteilt. Hat sich dadurch etwas geändert?

Krone-Schmalz: Als erstes: In Weißrussland steht mit Präsident Lukaschenko jemand an der Spitze, der sich um nichts als die eigene Macht schert. Das kann man nicht in einen Topf mit Russland werfen, wo seit Beginn dieses Jahrhunderts große Anstrengungen unternommen werden, um rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Davon kann in Weißrussland keine Rede sein. Dann während der Amtszeit Jelzins war die Zahl der ermordeten Journalisten höher als bei Putin. Das macht es nicht besser, sagt aber eine Menge darüber aus, wie die gleichen Dinge unterschiedlich wahrgenommen werden können. Jelzin war der gemütliche Großvatertyp, Putins Image ist untrennbar mit seiner Geheimdienstvergangenheit verbunden. Und schließlich hat die Ermordung von Anna Politkowskaja viel mehr mit Tschetschenien und Korruption als mit dem Stichwort Pressefreiheit zu tun, was an der verabscheuungswürdigen Tat selbst nichts ändert, aber eine Rolle spielt bei der Suche nach Motiven und Tätern. Zynisch oder nicht, Tatsache ist, dass der Tod dieser Journalistin Putin und seiner Regierung wesentlich mehr geschadet hat und weiter schadet als einst ihre regierungskritische Arbeit. Russland ist sicher kein Hort der Pressefreiheit, aber es gibt weit mehr kritische Sendungen und Publikationen, als man hier im Westen denkt. Die Widersprüche auf diesem Gebiet sind ähnlich gigantisch wie die Ausmaße dieses Landes.

Sie waren viele Jahre ARDKorrespondentin in Moskau. War das Recherchieren schwierig oder gar gefährlich?

Krone-Schmalz: Gefährlich, nein, schwierig ist relativ. Als ich 1987 nach Moskau kam, waren Gorbatschows Perestroika und Glasnost bereits zu spüren. Es waren die Russen, bzw. die Sowjetbürger selbst, die gesellschaftliche Missstände und Regierungspolitik am schärfsten kritisierten und die Ausländer quasi mit der Nase drauf stupsten. Es war möglich, mit laufender Kamera in Geschäfte oder Verwaltungen zu gehen. Das funktioniert nicht mal in Deutschland. Das Maß der Pressefreiheit war Ende der 80er-Jahre am höchsten, obwohl sie da noch gar nicht in der Verfassung verankert war. Das hat sich dann unter Jelzin und der im Westen vielfach bejubelten Privatisierungswelle stark verändert. Denn auch Medien wurden privatisiert, sodass diejenigen, die das Geld gaben, bestimmten, was publiziert wurde. Ohne Jelzins Verdienste schmälern zu wollen, seine politische Hinterlassenschaft waren Chaos, Anarchie, Halbfeudalismus und kriminelle Strukturen. Putin war dann derjenige, der anfing aufzuräumen. Dabei ist auch nicht alles optimal gelaufen, aber die Richtung stimmte. Die meisten Menschen im Westen machen sich keine Vorstellung davon, wie schwierig es war, die Staatlichkeit überhaupt erst wieder herzustellen.

Gibt es bezüglich kritischer Berichterstattung ein Gefälle zwischen Moskau oder St. Petersburg und dem riesigen Hinterland?

Krone-Schmalz: Ja und nein. In den Metropolen finden Sie alles von regierungstreu bis aufmüpfig. Die Radiosender EchoMoskvy und Russkaja Radio haben tägliche Livesendungen, in denen Hörer anrufen können, um ihre Meinung zu aktuellen Themen zu sagen Chodorkowskij-Urteil oder Korruption im örtlichen Polizeirevier, und die nehmen kein Blatt vor den Mund.

Aber anonym, oder?

Krone-Schmalz: Nein, es sind ganz normale Bürger, die auch ihren Namen nennen. Und das Verrückte an diesem Beispiel ist, dass einer der Sender (Echo Moskvy) Gazprom gehört, also dem Machtfaktor in Russland.

Und wie sieht es in der ,,Provinz" aus?

Krone-Schmalz: Auch da finden Sie die gesamte Bandbreite, allerdings nicht flächendeckend, sondern regional sehr unterschiedlich. Während beispielsweise in Perm ein Taxiunternehmer mit großem Erfolg eine oppositionelle Zeitung herausgibt, verliert in Krasnodar der Chefredakteur eines örtlichen Fernsehsenders seinen Job, weil er die umfänglichen Pressemitteilungen der Stadtverwaltung auf Nachrichtenformat zurechtstutzt. Russland erstreckt sich über 11 Zeitzonen. Ginge man hier 11 Zeitzonen gen Westen, landete man in Hawaii (!), und alles dazwischen ist ein Land. Provinz in der Bedeutung von Hinterwäldlertum trifft in dem Sinne auf Russland nicht zu.

Welches Bild haben denn die Russen von Deutschland?

Krone-Schmalz: In der Regel ein eher gutes. Russen sind auch sehr gut informiert. Nach meinem Eindruck hat das Bild allerdings ein paar Kratzer bekommen, weil Russland von Deutschland mehr Verständnis für seine schwierige Lage erwartet hat. Nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass die deutsche Vereinigung ohne Gorbatschow und seine Politik nie möglich gewesen wäre. Ein Riesenschritt für die damalige Sowjetunion. Putin hat zu Beginn seiner Amtszeit lauter positive Signale Richtung Westen gesandt, suchte die Annäherung an Deutschland, hat unterschiedlichste Angebote der Zusammenarbeit gemacht und hat nichts Substantielles zurückbekommen, weil alle immer nur auf seine Geheimdienstvergangenheit gestarrt haben, statt seine konkreten politischen Schritte unter die Lupe zu nehmen. Das hat in Russland große Enttäuschung ausgelöst. Deutschland ist zwar immer noch im Vergleich zu anderen EU-Ländern oder USA sehr beliebt, aber so wie es einmal war, ist es nicht mehr.

Welcher Präsident hat am meisten für Russlands Entwicklung getan?

Krone-Schmalz: Wenn ich jetzt sage Putin, zerreißen mich alle in der Luft. Gorbatschow hat überhaupt erst einmal die Voraussetzungen geschaffen, dass sich Russland öffnet. Mehr war zu dem Zeitpunkt nicht möglich. Und er hat dafür gesorgt, dass diese stark verkrustete Sowjetunion im Wesentlichen unblutig aufgebrochen wurde. Eine Riesenleistung. Dass es durchaus anders laufen kann, sogar bei wesentlich kleineren Ländern, zeigt das Beispiel Jugoslawien. Jelzin hingegen war für die Entwicklung Russlands mit Blick auf seine politische Bilanz von Anfang bis Ende ein Desaster. Er hat Schlüsselindustrien und Medien privatisiert ohne Rücksicht darauf, was das für das Land praktisch bedeutet. Vermutlich hat er's nicht mal realisiert. Putin war dann das Kontrastprogramm. Er hat Russland nach all den Demütigungen Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zurückgegeben. Zudem gehen auf Putins Konto viel mehr Gesetze, die das Land Richtung Rechtsstaatlichkeit vorangebracht haben, als im Westen zur Kenntnis genommen wurde. Demokratie ist ohne Stabilität nicht zu haben. Das sollten wir in unseren überschaubaren durchstrukturierten Gesellschaften im Westen nicht vergessen.

Kürzlich machte im Chodorkowskij-Prozess Dmitri Medwedew Schlagzeilen, weil er vor der Urteilsverkündung betonte, dass weder ein Präsident noch ein anderer Beamter das Recht habe, seine Position vor der Urteilssprechung kundzutun. Eine Spitze gegen Putin?

Krone-Schmalz: Putin und Medwedew sind ein hervorragend funktionierendes Team mit einer gut abgesprochenen Arbeitsteilung. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Medwedew quasi nur geraderücken musste, dass Putin sich ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Für Medwedew wiederum eine gute Gelegenheit, sich ins rechte Licht zu rücken, zumal er Jurist ist. Also alles andere als eine Kontroverse.

Und wie lässt sich Medwedews Kritik an Weißrusslands Niederschlagung der Demonstranten einordnen?

Krone-Schmalz: Medwedew ist sicher jemand, der aus voller Überzeugung für Gewaltenteilung ist und aus voller Überzeugung versucht, einen modernen Staat zu formen.

Was halten Sie von Altkanzler Gerhard Schröders Aussage, Putin sei ,,ein lupenreiner Demokrat"?

Krone-Schmalz: Das war ein großer Fehler in seiner ansonsten 100 Prozent richtigen Russland-Politik. Er war nicht den gängigen Stereotypen verfallen und hat den Russen auch mal etwas geglaubt. Er ist sehr pragmatisch an Dinge herangegangen. Nur eben jene Aussage hat vieles wieder eingerissen und dürfte noch nicht einmal Putingefallen haben.

Was ist übrig geblieben von der Perestroika-Politik, die einst Michail Gorbatschow vorangetrieben hatte?

Krone-Schmalz: Alles, was sich jetzt abspielt, wäre ohne Perestroika nicht zustande gekommen. Glauben Sie weiterhin an Russland?

Krone-Schmalz: Ich möchte gerne den russischen Wissenschaftler, Dr. Dmitri Trenin, Vize-Direktor am Moskauer Carnegie Centrum, zitieren, dergesagt hat: ,,Die russische Politik, die immer noch sehr an Personen gebunden und größtenteils intransparent ist, sollte den Russen selbst überlassen werden. Der Westen muss aufhören, darüber nachzudenken, was gut für Russland ist und sollte sich darauf konzentrieren, was gut für den Westen ist. Irgendwann könnte es ein überraschend großes Maß an Übereinstimmung zwischen beidem geben." Genauso ist es. Das Gespräch führte Dietlinde Terjung

Pressekontakt:

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Werner Kolbe
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