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Mittelbayerische Zeitung: Süßes gegen Saures

Regensburg (ots)

Von Stefan Stark

Die Amerikaner haben's schwer. Einen Tag vor der Wahl wissen sie noch nicht, wer ihr nächster Präsident sein wird. Wir wissen das schon seit fünf Jahren." Mit diesem spöttischen Vergleich mokierte sich ein chinesischer Internet-Nutzer über den Führungswechsel in Peking. Treffender lässt sich über das demokratische Vakuum im kommunistisch-kapitalistischen Zwitterreich kaum spotten. Denn während in freiheitlichen Staaten die Bürger ihre Regierungen wählen, tut das im bevölkerungsreichsten Land der Erde ein erlauchter Kreis von abgehobenen Parteifunktionären. Dort werden die Führer von Staat und Partei lange vor ihrer Krönung auserwählt und jahrelang auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet - so wie die Kaiser von China einst ihren Erstgeborenen dem Volk als künftigen Herrscher präsentierten. Es gibt einen guten Grund, warum dieser Artikel mit den Sätzen eines Regimekritikers aus dem Reich der Mitte beginnt: Die Schärfe sarkastischer Witze über die eigene Regierung kann ein hervorragender Gradmesser für die politische Stimmung im Land sein - ebenso wie die Angst der Machthaber, dass solche Witze weitererzählt werden. Die kommunistischen Herrscher fürchten Meinungsfreiheit. Sie erzittern davor, dass die Wahrheit über krasseste soziale Ungerechtigkeiten, eine käufliche Justiz und korrupte Parteikader öffentlich kursiert. Deshalb zensieren sie wie verrückt selbst das komplette Internet. Nur selten gelingt es einem Aktivisten, eine Lücke zu finden. Und wenn doch, muss er anonym bleiben. Sonst findet er sich wie Tausende andere Oppositionelle in China über Nacht im Gefängnis wieder. Es gibt einen weiteren Gradmesser, an dem sich die Angst einer Diktatur vor dem eigenen Volk ablesen lässt: Die Sicherheitsvorkehrungen für eine offizielle Veranstaltung, wie den gestern eröffneten Kommunistischen Parteitag in Peking. Mehr als eine Million Milizionäre hat das Regime in die Hauptstadt gekarrt, um selbst den leisesten Hauch von Kritik im Keim zu ersticken. Auf 20 Bewohner der Metropole kommt ein Aufpasser. Was westliche Beobachter als schizophren empfinden, gehört in China zum "normalen" Programm. Denn nichts fürchtet die Regierung mehr, als dass eine neue Protestbewegung heranwachsen könnte, die den Machthabern die Stirn bietet. 1989 - bei der blutigen Niederschlagung der Jasminrevolution - ließen die Kommunisten die für Freiheit demonstrierenden Studenten ohne großes Federlesen von Panzern überrollen. Ein Massaker wie damals am Platz des Himmlischen Friedens könnte sich die Regierung 2012 vor der Weltöffentlichkeit nicht mehr leisten. Daher versucht sie mit den Mitteln eines totalitären Überwachungsstaats, die Opposition klein zu halten. Anders als vor 23 Jahren ist China heute durch Finanz- und Handelsströme mit allen wichtigen Staaten eng verbunden. Westliche Unternehmen produzieren im asiatischen Wirtschaftswunderland, während die Welt gierig billige chinesische Waren kauft. China ist zur Exportnation Nummer 1 aufgestiegen und zum wichtigsten Geldgeber Amerikas. Der chinesische Drache fliegt hoch wie nie zuvor. Ein für alle sichtbarer Blutstempel auf dem "Made in China"-Zeichen aber würde den Staat völlig diskreditieren und dem Handel massiv schaden. Und damit das Wachstum abwürgen, mit dessen Früchten sich die Führung bislang weitgehend das Stillhalten der Unzufriedenen erkaufen konnte. Die scheidende KP-Garde hat dem Volk gestern eine Bestechung unter dem Motto "Süßes gegen Saures" angeboten. Das Versprechen lautet Reichtum, oder zumindest spürbar mehr Wohlstand für alle. Damit bereitet der scheidende Staatschef Hu Jintao den Boden für seinen Erben Xi Jinping. Gleichzeitig ist es der Versuch, das Heer der Unterdrückten mit der Hoffnung ruhigzustellen, dass es ihnen materiell bessergehen wird. Freiheit, Menschenrechte und Demokratie müssen sich hinten anstellen. Dieser Tauschhandel ist die Fortsetzung des Experiments, mit den Mitteln des Staatskapitalismus die Macht des Regimes zu sichern. Doch letztlich erkaufen sich die kommunistischen Kaiser nur Zeit. Denn auf Dauer lässt sich auch der Duldsamste nicht in einem goldenen Käfig einsperren.

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