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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Piraten/Parteitag von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Praktisch aus den digitalen Weiten des Internets stießen die Piraten auf die politische Bühne vor. Eine Bewegung von Nutzern des weltweiten Netzes, die sich vor allem gegen Zensur im Internet formierte, wie sie einst Ursula von der Leyen beim Kampf gegen Kinderpornografie im Netz plante. Nun schicken sie sich an, das bisherige Parteiengefüge gehörig durcheinanderzuwirbeln. Nahezu im Zeitraffer durchlaufen die Internet-Demokraten jetzt politische Kinderkrankheiten, wie man sie etwa von den Grünen oder den Linken kennt. Ständig in Bewegung, nahezu ständig Online. Die Piraten sind ein politisches Projekt, von dem allerdings zurzeit noch niemand sagen kann, ob es grandios durchschlägt, ob es die bisherige "analoge" Demokratie verändern kann oder ob es klammheimlich in den Weiten des Netzes wieder einschläft. Alles ist im Fluss. Auf dem Parteitag in Neumünster haben die Piraten zumindest einen Schritt für ihren weiteren Erfolg getan. Sie haben sich klar und deutlich von rechtsextremen Spinnern, Karrieristen und wohl auch Trittbrettfahrern distanziert. Das war allerdings auch bitter notwendig. Das es so eindeutig geschehen ist, ehrt die Piraten. Zumindest diese offene Flanke haben sie geschlossen. Bei der Wahl des Parteivorstands, wo bei den Basis-Aktivisten immer Überraschungen vorkommen können, setzen sie auf jene Kontinuität, die bei den Piraten gerade noch möglich ist. Nach einem Jahr muss wieder neu gewählt werden. Auch bei den Grünen gab es einst solche Modelle, man rotierte. Am Anfang klein und belächelt, wohl auch nicht ganz verstanden und ernst genommen, haben die Piraten einen Aufschwung hingelegt, den es so in der jüngeren deutschen Parteiengeschichte noch nicht gab. Sie haben es, viel besser als Grüne oder Linke, verstanden, das riesige Reservoir der Nichtwähler zu aktivieren. Außerdem wildern sie hemmungslos und erfolgreich unter der Wählerschaft der anderen Parteien. Mit durchaus unterschiedlichen Folgen und Konsequenzen für die etablierten Parteien. Schaffen es die Piraten nach Berlin und Saarbrücken auch in die Landtage von Kiel und Düsseldorf und im nächsten Jahr den Bundestag einzuziehen, dann wären vor allem SPD und Grüne die Gelackmeierten. Eine erhoffte Wiederauflage von Rot-Grün würde von starken Piraten torpediert, wahrscheinlich sogar unmöglich gemacht. Die SPD müsste, will sie wirklich den Kanzler stellen, ein Dreierbündnis angehen. Mit den Grünen oder mit Piraten und Linken. Beides ist nahezu nicht vermittelbar und wenig verlockend. Angela Merkel hingegen kann das Erstarken der Piraten relativ gelassen verfolgen. Die Verluste von CDU und CSU an die Internetaktivisten halten sich in Grenzen. Dagegen schwächen die Politneulinge das politische Lager links der Mitte. Starke Piraten im Bundestag würden Merkels Ambitionen untermauern, als Kanzlerin einer großen Koalition zu regieren. Freilich ist dies nur eine Momentaufnahme. Die tollen Umfragewerte der Piraten basieren zum großen Teil auf ungedeckten Schecks, auf schwammigen oder noch gar keinen politischen Konzepten, auf einer verbreiteten Stimmung, "denen da oben" zeigen wir es jetzt mal. Je mehr die Piraten gezwungen werden, zu bestimmten Themen Farbe zu bekennen, wird bei ihnen selbst ein Differenzierungsprozess einsetzen. In Neumünster haben sich die Piraten gewissermaßen etwas selbst entzaubert, sogar auf eine angenehme Art.

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