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"Berliner Morgenpost": Krieg - und dann?
Leitartikel von Michael Backfisch zu Israel

Berlin (ots)

Es sind minimale Lichtpunkte, mehr nicht. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat der Option einer Dauerbesetzung des Gazastreifens eine Absage erteilt. Darüber hinaus wollen die Israelis mehrstündige Kampfpausen im Nordteil der Küstenenklave einrichten. Die Regierung in Jerusalem hat sich bewegt. Wohl weniger aus eigener Einsicht als auf Druck der Amerikaner hin. Dennoch sind die Signale gut und richtig. Aber sie reichen nicht. Will der Nahe Osten nicht auf Jahre in Krieg und Chaos versinken, braucht er eine politische Perspektive.

Israel hat selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen. Und nach den bestialischen Angriffen am 7. Oktober hat das Land das Recht, mit dem Hamas-Terror ein für alle Mal aufzuräumen. Es steht außer Frage, dass ein Volk, das den Horror der Nazis erleiden musste, eine besondere Sensibilität für Bedrohung und Vernichtung hat. Die Forderung, dass sich der 7. Oktober nicht wiederholen darf, ist nachvollziehbar.

Aber es ist nicht genug, nur die Terrorgefahr zu beseitigen. US-Präsident Joe Biden hat es bei seinem letzten Israel-Besuch auf den Punkt gebracht: "Lassen Sie sich nicht von der Wut verzehren!", appellierte er an die Israelis. Er verwies auf die "Fehler" Amerikas nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damals jagte das US-Militär Osama bin Laden und andere Top-Terroristen des Netzwerks Al-Kaida. Aber Washington hatte keinen Plan für die politische Zukunft Afghanistans. Traurige Realität: Am Hindukusch sitzen heute die gleichen islamistischen Machthaber wie in den 1990er-Jahren.

Israel darf bei der Bekämpfung der Hamas nicht in die Afghanistan-Falle tappen. Den Krieg der Bilder hat die Regierung in Jerusalem bereits verloren: Die hohe Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen sorgt in vielen Teilen der Welt für eine propalästinensische, antiamerikanische und antiisraelische Stimmung. Darunter sind viele Länder des "globalen Südens", die der Westen wegen des Ukraine-Krieges auf seine Seite zu ziehen versucht. Kein Geringerer als US-Generalstabschef Charles Brown hat davor gewarnt, dass die Hamas-Kämpfer umso mehr Zulauf bekämen, je mehr Zivilisten im Gaza-Krieg getötet würden.

Israel muss sich öffnen und den Palästinensern ein Angebot der politischen Teilhabe machen. Eine Zwei-Staaten-Lösung, die schon seit Jahrzehnten auf dem Verhandlungstisch liegt, ist nach wie vor der beste Weg. Beide Seiten kommen nicht daran vorbei, sich zu schmerzhaften Zugeständnissen durchzuringen. Israel muss einen unabhängigen Palästinenserstaat tolerieren und darf sich nicht zur Geisel der Ultra-Orthodoxen und der radikalen Siedlerbewegung machen. Die Palästinenser müssen im Gegenzug Israels Sicherheitsbedürfnis akzeptieren und sich mit einem neutralen, demilitarisierten Status des neuen Staats abfinden.

Für das Projekt der Zwei-Staaten-Lösung sollten auch arabische Länder mit ins Boot geholt werden. Regionalmächte wie Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien haben sich in den vergangenen Jahren beim Palästinenser-Thema einen schlanken Fuß gemacht. Sie werden jetzt aber gebraucht, um bei einem Palästinenser-Staat Geburtshilfe zu leisten. Israel sollte diese Idee aus Gründen der Realpolitik unterstützen. Je mehr Jerusalem gemäßigte arabische Länder einbindet, desto mehr wird der Israelfeind Iran samt seiner verbündeten Schiiten-Milizen isoliert. Ohne diese politische Perspektive besteht die Gefahr von endlosen Kriegen. Die Region würde von einem Schlamassel in den nächsten stolpern.

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