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Berliner Morgenpost/Die Ukraine hat es verdient/Leitartikel von Michael Backfisch

Berlin (ots)

Die EU will Beitrittsverhandlungen. Für Kiew ist das ein Motivationsschub

Es ist ein historischer Meilenstein: Die EU-Kommission empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft müssen nun Mitte Dezember definitiv beschließen, ob der Zug Richtung EU-Mitgliedschaft ins Rollen kommt oder nicht. Natürlich wirft das berechtigte Fragen auf: Was soll eine derart gravierende Entscheidung für ein Land, das sich mitten im Krieg mit Russland befindet? Wird die EU damit möglicherweise selbst zur Kriegspartei? Letzteres kann man verneinen. Ein Beitritt der Ukraine ist ausgeschlossen, solange der Krieg andauert. Schon allein, weil Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags eine Beistandspflicht festschreibt, sollte ein EU-Mitgliedsland angegriffen werden. Der Club der 27 will unter allen Umständen vermeiden, dass er direkt in den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hineingezogen wird.

Klar ist auch: Die Zugehörigkeit der Ukraine zur EU erfolgt nicht per Knopfdruck. Der Prozess zieht sich über viele Jahre hin und kann auch wieder auf Eis gelegt werden wie im Falle der Türkei, wenn zum Beispiel Standards für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten werden. Dennoch ist das offizielle Entrée aus Brüssel für Kiew eminent wichtig. Es ist ein Motivationsschub für die Bevölkerung, die sich unter großen Opfern gegen die eigene Vernichtung wehrt. Es ist ein Silberstreif der Hoffnung in schwerer Zeit. Die Ukraine kämpft nicht nur gegen den Aggressor Russland um ihre Existenz. Sie verteidigt Europas Werte und Europas Freiheit am östlichen Rand der EU.

Es ist ein Krieg auf einer höheren Ebene. Nicht alle haben das begriffen. Vor allem die Bequemlichkeitspazifisten, die dem naiven Traum von einem Friedensdialog mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anhängen, sind blind gegenüber dem imperialen Wahn des Kremlchefs. Wenn Putin verhandeln will, dann nur, um seinen Landraub zu zertifizieren. "Gespräche ja, aber nur zu meinen Bedingungen. Punkt!" lautet seine Devise. Das ist kein apokalyptisches Gemälde. Die Warnrufe sind da - man muss sie nur zur Kenntnis nehmen. Der Militärexperte Carlo Masala betont: Sollte Russland dauerhaft 17 bis 18 Prozent der Ukraine besetzt halten, müsse man mit einem konventionellen Angriff auf das Baltikum rechnen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, sagt: "Ich halte es für gut möglich, dass Putin über kurz oder lang sogar eine räumlich begrenzte konventionelle Auseinandersetzung - einen Krieg - mit einem Bündnispartner, und damit mit uns, führt."

Und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) höchstselbst fordert, dass Deutschland "kriegstüchtig" werden müsse. Dahinter steckt kein Spiel mit der Angst. Es ist der Appell für einen Mentalitätswechsel in der Gesellschaft hin zu einer wehrhafteren Nation. Nur so kann die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar 2022 verkündete "Zeitenwende" vollzogen werden. Anders ausgedrückt und eine Ebene höher gezogen: Eine wehrhafte Nato wirkt abschreckend und kriegsverhindernd.

Dennoch ist die Brüsseler Weichenstellung für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen kein Freifahrtschein für die Ukraine. Das Land muss liefern. Reformschritte bei der Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche oder bei der Beschneidung des Einflusses von Oligarchen sind nachzuweisen. Auch wenn der EU-Gipfel Mitte Dezember endgültig grünes Licht gibt: Es ist ein langer Prozess, der bis weit in die Zeit nach dem Krieg reicht. Aber die symbolische Geste ist wichtig.

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