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BERLINER MORGENPOST: Griechenlands Chance
Leitartikel von Michael Backfisch zu Griechenland

Berlin (ots)

Kurzform: Ab heute muss Griechenland auf eigenen Beinen stehen - ohne internationale Hilfspakete. Es ist eine Chance. Dies erfordert Augenmaß und Disziplin. Die Regierung muss sich auf einen stabilitätspolitischen Marathonlauf über viele Jahre einlassen. Man kann es auf folgende Formel bringen: Griechenland braucht einen ausgeglichenen Haushalt und gute Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Ein Schuldenschnitt, wie ihn einige fordern, würde die Malaise Griechenlands nur kurzfristig beheben. Die Gefahr, dass der alte Schlendrian zurückkehrt, wäre hoch.

Der vollständige Leitartikel: Europa hatte in den vergangenen Jahren etliche Konflikte zu entschärfen. Doch kaum eine Krise war so einschneidend wie das griechische Schulden-Drama. Erstmals stand ein EU-Mitglied am Rand einer Staatspleite. Die politischen Auseinandersetzungen über Rettung oder kontrollierten Ausstieg (Grexit) aus der Gemeinschaft gerieten derart heftig, dass sogar Nazi-Vergleiche aus der ideologischen Mottenkiste geholt wurden. Die Bundes-regierung machte sich von Beginn an vehement für tiefgreifende Reformen in Griechenland stark - und holte sich dort prompt den Vorwurf des "Spar-Diktats" ein. Kanzlerin Angela Merkel wurde bei Demonstrationen in Athen mit Hitler-Bärtchen abgebildet, flankiert von Finanzminister Wolfgang Schäuble in Wehrmachtsuniform. Angesichts der desaströsen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Griechenland waren die Forderungen, Tabula rasa zu machen, berechtigt. Der Staatshaushalt stellte sich 2009 und 2010 als Fata-Morgana-Budget dar. Die Zahlen waren durch die Bank frisiert - nichts stimmte. Die öffentliche Hand beschaffte sich Geld auf Pump, solange es ging. Die Steuererklärungen hatten den Charakter von Märchenstunden: Viele erzählten den Beamten, was sie wollten. Der Staat hatte keinen Überblick über seine Einnahmen. Während der weltweiten Finanzkrise 2008 und 2009 verfügte er über zu wenige Ressourcen, um einzuschreiten. Die Banken drehten den Geldhahn zu, die öffentlichen Kassen waren leer. Vor diesem Hintergrund mussten die Eurozone und der Internationale Währungsfonds intervenieren, um Griechenland vor dem Kollaps zu bewahren. Dass dabei drastische Reform-Vorgaben an Athen gemacht wurden, liegt auf der Hand. Keine Regierung kann es verantworten, dass die Steuergelder der eigenen Bürger in ein Fass ohne Boden geworfen werden. Dennoch: Es ist ungerecht, dass die griechische Politik der eigenen Bevölkerung jahrzehntelang Sand in die Augen gestreut hat, nun aber viele Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen den Preis bezahlen müssen. Arbeitsplätze fielen weg, die Löhne sanken drastisch, der Krankenversicherungsschutz wurde ausgehöhlt. Die Reichen haben derweil ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland geschleust. Sie kauften Immobilien in Berlin und anderswo. Reeder zahlen so gut wie keine Steuern. Die soziale Symmetrie wurde nicht gewahrt. Der griechische Herkulesakt ist gleichwohl unvermeidlich. Im Gegensatz zur Krise in Spanien oder Irland handelte es sich in Griechenland nicht nur um eine Korrektur des Finanz- und Bankwesens. Das Land braucht eine institutionelle Erneuerung an Haupt und Gliedern. So muss die Steuerverwaltung endlich den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts angepasst und auch elektronisch kontrolliert werden. Firmen brauchen Rechtssicherheit, zum Beispiel durch eine lückenlose Erfassung aller Grundstücke. Ferner muss der Staat Bestechung rigoros bekämpfen. Nur Betriebe, die Vertrauen in die Gesetze und ihre Anwendung haben, investieren und schaffen Jobs. Ab heute muss Griechenland auf eigenen Beinen stehen - ohne internationale Hilfspakete. Es ist eine Chance. Dies erfordert Augenmaß und Disziplin. Die Regierung muss sich auf einen stabilitätspolitischen Marathonlauf über viele Jahre einlassen. Man kann es auf folgende Formel bringen: Griechenland braucht einen ausgeglichenen Haushalt und gute Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Ein Schuldenschnitt, wie ihn einige fordern, würde die Malaise Griechenlands nur kurzfristig beheben. Die Gefahr, dass der alte Schlendrian zurückkehrt, wäre hoch.

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