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Berliner Morgenpost: Mit Steuermilliarden in die Sackgasse - Kommentar

Berlin (ots)

Der Deutsche an sich pflegte stets ein erotisches
Verhältnis zum Auto: schnell fahren, bequem reisen, Macht über die 
Maschine spüren, den Neid der Nachbarn genießen - das Fahrzeug als 
Spaß- und Status-Lieferant. Gegen dieses schöne Bauchgefühl stellt 
sich die ökonomische Vernunft: Lohnt sich ein Neuwagen? Kaum hat man 
den Parkplatz des Autohändlers verlassen, ist der Wert um ein paar 
Tausend Euro gefallen. Benzin ist teuer, der nächste Stau kommt 
bestimmt, Parkplätze sind Glücksache, und das Klima wird auch 
nicht besser.
Das herkömmliche Auto bedient die Wünsche der Menschen immer weniger.
Der moderne Konsument will sicher, schnell, zuverlässig, preiswert 
und ökologisch vernünftig von A nach B gelangen. Eine kluge 
Kombination aus U-Bahn, Taxi, Fahrrad, Mietwagen oder Zug ist allemal
effektiver. Mehr noch als ein schickes Auto will der moderne Bürger 
reibungslose Mobilität.
Die Autoindustrie hat diese Bedürfnisse konsequent ignoriert. Seit 
über 100 Jahren wird ein und dieselbe Verbrennungsmaschine 
technologisch immer weiter aufgerüstet, um sie auf vielfach 
rumpeligen Straßen viel zu langsam zu bewegen. Ist es modern, einen 
einzelnen Menschen in zwei Tonnen schweren Panzerwagen mit einem 
Durchschnittstempo von 20 km/h fortzubewegen, wie es jeden Tag 
millionenfach geschieht? Wir fahren unendlich viel Hochtechnologie 
spazieren, aber effektiv bewegen wir uns nicht.
Anstatt sich grundsätzlich Gedanken über moderne Verkehrsorganisation
zu machen, hat ausgerechnet das Mutterland von Eisenbahn, Flugzeug 
und Automobil seine innovative Kraft verloren. Die Automobilindustrie
hat sich dabei oftmals eher als Fortschrittsbremse denn als -motor 
profiliert. Beim Chrysler-Abenteuer von Daimler oder dem 
Eitelkeitskrieg zwischen VW und Porsche wurden Zeit, Energie und 
Milliarden vergeudet. Ingenieurskraft wurde fehlgeleitet, um Saurier 
zu perfektionieren. Dass zwei deutsche Großunternehmen in Berlin im 
nächsten Jahr mit 100 Fahrzeugen erstmals ein größeres Elektrokonzept
probieren, ist schön, kommt aber Jahrzehnte zu spät. Vor 20 Jahren, 
als die Mauer fiel, wurde schon einmal die historische Chance 
verspielt, ein ganz neues, effektives, sauberes Verkehrssystem zu 
probieren, etwa im Dreistädteeck Leipzig/Halle/Dresden.
Deutschlands Autoindustrie hat die dramatische Veränderung der 
Konsumentenbedürfnisse verpennt - als würde man im Zeitalter von iPod
und Downloads weiter tapfer auf die Vinylschallplatte setzen. 
Zukunftsweisend wäre, wenn die Spitzen aus Industrie und Politik sich
zum Ziel nähmen, das Verkehrssystem von morgen zu entwickeln - ein 
weltweiter Exportschlager. Stattdessen werden gleich drei Autogipfel 
in dieser Woche zum Vorwahlkampf missbraucht. Es wäre fatal, wenn die
Bundesregierung den Weg in die Sackgasse mit Steuermilliarden 
zementiert. Aber es steht zu befürchten.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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