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Börsen-Zeitung: Rückrufaktion bei Daimler, Kommentar zur Rücktrittsankündigung des DaimlerChrysler-Chefs Jürgen Schrempp von Bernd Wittkowski

Frankfurt (ots)

Ein Schrempp ist die neue Rechnungseinheit für 3
Mrd. Euro. Diesen spontanen Zugewinn an Marktkapitalisierung brachte
die Mitteilung, dass der Vorstandschef Ende dieses Jahres abzutreten
gedenke, am Donnerstag der DaimlerChrysler-Aktie. Ein kleinerer Teil
des Mehrwerts von 3,7 Mrd. Euro, entsprechend der für
Dax-Verhältnisse extremen Steigerung um rund 10%, mag auch der
Tatsache zuzuschreiben sein, dass die Zahlen, die der
deutsch-amerikanische Autobauer für das zweite Geschäftsquartal
veröffentlichte, deutlich über den Erwartungen von Analysten lagen.
„DCX“ zeitweise über 40 Euro – das hatte es zuletzt im Jahr 2002
gegeben. So viel messbaren Shareholder Value hat Jürgen Schrempp
lange nicht mehr geschaffen!
Ein Topmanager tritt ab, und die Börse feiert das Ereignis
geradezu überschwänglich: Es ist ein unerbittliches Urteil, das die
Investoren über einen Mann sprechen, der hierzulande zu den Vätern
der Ausrichtung am Aktionärsnutzen gehörte (bevor in Stuttgart das
„magische Dreieck“ der Interessen von Kunden, Mitarbeitern und
Anteilseignern entdeckt wurde). Der 60-Jährige hat freilich neben
manchen Höhen allzu viele Tiefen erlebt, als dass er nicht über die
Nehmerqualitäten verfügen würde, die es erfordert, ein solches
Verdikt ohne bleibenden Schaden an Leib und Seele wegzustecken.
Andererseits ist die Bereitschaft, Schläge der Kritik immer häufiger
auch unterhalb der Gürtellinie hinnehmen zu müssen, selbst bei Leuten
nicht grenzenlos vorhanden, die gelegentlich gerne mal den Rambo
spielen. Dann doch lieber auf die Farm in Südafrika.
Es wäre unangemessen, das Kapitel Schrempp mit dem Filmtitel
„Leichen pflastern seinen Weg“ zu überschreiben. Aber, um ein auch
besser zur Autobranche passendes Bild zu gebrauchen, mit einer nicht
enden wollenden Pannenserie sind seine 17 Jahre Vorstandsvorsitz –
angefangen 1988 bei Daimler-Benz Aerospace (Dasa) und seit 1995 bei
Daimler-Benz bzw. nach der Fusion im Jahre 1998 bei DaimlerChrysler –
zweifellos verbunden: Fokker, die umkippende A- Klasse, Adtranz,
Chrysler, Mitsubishi, Toll Collect, Fuso, Smart, spektakuläre
Rückrufaktionen, eine Korruptionsaffäre, et cetera. Das peinliche Aus
von Kimi Räikkönens McLaren-Mercedes vorigen Sonntag auf dem
Hockenheimring war geradezu symptomatisch für die Verfassung des
Konzerns.
Dass die „Welt AG“ DaimlerChrysler überhaupt jemals für längere
Zeit ohne größere Aus- und Unfälle über die Runden kommt, ist
anscheinend undenkbar. Vielleicht gehört das aber auch einfach dazu
bei einem Gebilde dieser Größe, Komplexität, Globalität und dadurch
auch Anfälligkeit, mit dessen Steuerung jeder Chauffeur permanent
Probleme bekommen muss. Dann könnte es schon als achtbare Leistung zu
würdigen sein, dass der empfindliche Bolide nicht vor die Wand
gefahren wurde.
Doch das Vermeiden eines Totalcrashs konnte dem Aufsichtsrat unter
Vorsitz von Hilmar Kopper und dem zunehmend unkomfortabel und nervös
auf seinem Anteilspaket von zuletzt noch gut 10% (vor der gestrigen
Platzierung) sitzenden Großaktionär Deutsche Bank auf Dauer nicht
reichen. So erklärt sich die nun überraschend verkündete, von den
langjährigen Weggefährten und Freunden Kopper und Schrempp
einvernehmlich beschlossene Rückrufaktion: Der Daimler-Boss wird drei
Jahre vor dem Ende seiner vertraglichen Restlaufzeit aus dem Rennen
genommen. Die auf diese Weise ausgelöste Kursreaktion hat für die
Deutsche Bank den Weg zum beschleunigten und ultimativen Ausstieg aus
ihrer letzten großen Industriebeteiligung (und zur Realisierung
erklecklicher Kursreserven) freigemacht.
Bei allem, was Schrempp an strategischen Flops und gigantischer
Kapitalvernichtung vorzuwerfen ist: Ohne Visionäre, die auch den Mut
zur Tat haben, ist die Gestaltung der Zukunft nicht denkbar. Das gilt
für die Politik wie für die Wirtschaft. Dies impliziert aber
natürlich das Risiko von Fehlschlägen. Wer solche zu verantworten
hat, sollte die gebotenen Konsequenzen besser beizeiten ziehen.
Insofern geht Schrempp gemessen an den Milliarden, die in seiner Ära
verbrannt wurden, eher spät.
Gewiss hätte es aber auch schon schlechtere Zeitpunkte gegeben.
Wer seinen Glauben an diesen Konzern noch nicht ganz verloren hat,
mag ja in den aktuellen Zahlen durchaus die erfolgreiche
Stabilisierung der ins Schlingern geratenen Mercedes Car Group und
auf dieser Basis auch die Chance für spürbare Ergebnisverbesserungen
von 2006 an erkennen können. So gesehen, ginge Schrempp tatsächlich
in einem Moment, in dem DaimlerChrysler auf dem richtigen Weg ist.
Weniger frohgemuten Zeitgenossen dagegen muss es aus schlechter
Erfahrung schwer fallen, das enorme Enttäuschungspotenzial zu
vergessen, das dieser Konzern noch allweil ausgeschöpft hat.
Wer aber positiv nach vorne schauen will, der wird den Kurssprung
der DCX-Aktie anders interpretieren: Nicht ein Schrempp, sondern ein
Zetsche wäre dann die neue Rechnungseinheit für 3 Mrd. Euro. Der
Chrysler-Sanierer wird nicht nur an der Börse, wo schon seine
Bestellung für Euphorie und Fantasie sorgt, als überzeugender
Nachfolger gehandelt. Aber wie man auch rechnet: vom einstigen
Höchststand ist der Wert nach der gestrigen Avance immer noch Stücker
20 entfernt – Schrempps oder Zetsches.

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