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Mit gezinkten Karten, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

Die jüngste Attacke aktivistischer Kleinaktionäre auf ihrer Meinung nach räuberische US-Hedgefonds dürfte im Rückblick als eines der einschneidenden Ereignisse in der langen Geschichte der Wall Street betrachtet werden. Die Auswirkungen der Ereignisse und die Veränderungen, die dadurch ausgelöst werden, lassen sich noch lange nicht vollständig überblicken.

Auch wenn die gut organisierten Käufe von Aktien, die das Ziel von Leerverkäufen waren, sich nur gegen aus­gewählte Hedgefonds richten: Die großen Ak­teure an der Wall Street fühlen sich indirekt angegriffen. Sie haben den durchaus richtigen Eindruck, dass es auch sie demnächst treffen könnte. Sie bemühen sich daher fast schon reflexartig, die selbst erklärte Widerstandsbewegung Wallstreetbets zu unterdrücken - mit teilweise zweifelhaften Methoden.

Dazu gehört es, Wallstreetbets den Zugang zu den Social-Media-Plattformen zu sperren, über die sich die Mitglieder koordinieren. Praktiziert haben das bereits Discord und Facebook. War bereits die weitreichende Sperrung militanter Trump-Anhänger durch die großen Social-Media-Monopolisten ein in der US-Geschichte­ ungewöhnlicher Vorgang, weil in der öffentlichen Diskussion in den USA traditionell auch extreme Meinungen in stärkerem Maße geduldet werden als beispielsweise in Europa, so grenzen die aktuellen Maßnahmen an Absurdität. Anders würde es nur aussehen, wenn den Aktivisten Verstöße gegen amerikanische Wertpapiergesetze nachzuweisen wären. Davon ist aber bisher nicht die Rede, und die Begründungen der Plattformen, die vom Geld der Wall Street abhängig sind, wirken vorgeschoben.

Das weckt bei den Privatanlegern auch den Verdacht, dass die Wall Street mit umstrittenen Praktiken finanzkräftiger Akteure sehr viel nachsichtiger umgeht. Hedgefonds dürfen Leerverkäufe tätigen und anschließend für die Verbreitung negativer Meinungen über die betroffenen Aktien sorgen, ohne Sanktionen der Börsenaufsicht befürchten zu müssen - solange sie offenlegen, dass sie Leerverkaufspositionen halten. Das sind Praktiken, die an strafbares Frontrunning erinnern. Dadurch hat sich bei vielen Amerikanern die Meinung festgesetzt, dass an der Wall Street mit gezinkten Karten gespielt wird. Gleichzeitig sind die Amerikaner für die Altersvorsorge aber auf den amerikanischen Aktienmarkt angewiesen - sie können ihn kaum meiden.

Äußerst kritisch zu sehen ist auch das Vorgehen des Online-Brokers Robinhood, der mit der Werbeaussage auf Kundenfang gegangen ist, die Wall Street demokratisieren zu wollen. Der von den aktivistischen Privatanlegern schwerpunktmäßig ge­nutzte Broker hat nicht nur seinen Kunden Käufe der betroffenen Aktien unmöglich gemacht. Die Kunden erheben sogar den Vorwurf, ihre Gamestop-Aktien seien gegen ihren Willen zwangsweise verkauft worden, und zwar zu einem Preis von 118 Dollar, als der Titel an der Börse zu mehr als 480 Dollar notierte. Das wäre ohne Zweifel eine strafbare Marktmanipulation. Da sich Robinhood nun Sammelklagen und einer Flucht der Kunden gegenübersieht, hat sich der Broker von großen Wall-Street-Häusern mit einem Finanzpolster von mehr als 1 Mrd. Dollar ausstatten lassen.

Wenngleich sich die Aktionen der aktivistischen Kleinanleger also bis zu einem gewissen Grad ethisch durchaus rechtfertigen lassen, sollte aber nicht übersehen werden, dass damit auch erhebliche Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems verbunden sind. Mit dieser ist es bekanntlich nicht zum Besten bestellt: Seit der Jahrtausendwende gibt es eine endlose Folge von Phasen hoher Überbewertungen und anschließenden Krisen, während die Verschuldung weltweit ein exorbitant hohes Niveau erreicht hat. Insofern könnte eine Aktion wie die aktuelle der Schneeball sein, der eine neue große Lawine auslöst. Langfristig auf dem Spiel steht auch die Rolle New Yorks als führendes Finanzzentrum der Welt, das in den kommenden Jahren auch immer stärker die Folgen davon spüren wird, dass eine steigende Zahl von Nationen ihren Handel aus politischen Gründen lieber in anderen Währungen als dem Dollar abwickelt.

Insofern wäre eine tiefgreifende Reform der Regeln an der Wall Street durch Kongress und US-Regierung vonnöten. Die Biden-Administration, die wichtige Schlüsselstellen mit Wall-Street-Insidern besetzt hat, und die von Spenden der Finanzindustrie abhängigen US-Parlamentarier werden dazu aber kaum die Kraft haben.

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