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Der Tagesspiegel: Berliner Richter Ohlsen unter Druck: Frankfurter Oberlandesgericht sieht in Leserbrief zu angedrohter Folter "erhebliche Nähe zu der Diktion nationalsozialistischer Propaganda"

Berlin (ots)

Berlin - Es geht vordergründig nur um
Prozesskostenhilfe. Doch was das Oberlandesgericht Frankfurt/Main 
jetzt beschlossen hat, dürfte in der deutschen Justiz reichlich 
Aufmerksamkeit erregen. Das Gericht bescheinigt dem Berliner Richter 
Andreas Ohlsen, ein Teil eines von ihm verfassten und im Tagesspiegel
abgedruckten Leserbriefes weise "eine erhebliche Nähe zu der Diktion 
nationalsozialistischer Propaganda" auf. Ohlsen hatte in hartem Ton 
die Androhung von Folter durch den Frankfurter Polizeivizepräsidenten
Wolfgang Daschner gegen Magnus Gäfgen gerechtfertigt, der als Mörder 
des kleinen Jakob von Metzler eine lebenslange Haftstrafe verbüsst.
    Der Richter am Berliner Landgericht schrieb unter vollem Namen, 
Gäfgen sei ein "Unmensch, ein Nicht-Mensch und damit ein ,Niemand'". 
Und "Niemand" dürfe, so Ohlsen, "bekanntlich der Folter unterzogen 
werden". Der im Dezember 2004 veröffentlichte Brief des Richters rief
große Empörung hervor. Nun hält auch das Frankfurter 
Oberlandesgericht die Wortwahl für extrem - und sieht "die gewählte 
Begrifflichkeit des Nicht-Menschen" nahe am Jargon der Nazis.
    Der Beschluss des in Kassel sitzenden 15. Zivilsenats des 
Oberlandesgerichts Frankfurt stammt vom vergangenen Dienstag. Der 
Senat gab der Beschwerde Gäfgens gegen einen Beschluss der 2. 
Zivilkammer des Landgerichts Marburg statt, das den Antrag des 
Mörders auf Prozesskostenhilfe abgewiesen hatte. Gäfgen geht mit 
Hilfe seines Anwalts Michael O. Heuchemer juristisch gegen Ohlsen 
vor. Der Kindesmörder sagt, er sei in der Haftanstalt nach Erscheinen
des Leserbriefes einer "Nicht-Mensch-Kampagne" ausgesetzt gewesen. 
Mitgefangene hätten ihn bedroht und als "Unmensch" oder "Tier" 
beschimpft. Im März dieses Jahres habe er bei dem Angriff eines 
Häftlings mehrere Verletzungen erlitten.
    Gäfgens Anwalt forderte Ohlsen auf, eine strafbewehrte 
Unterlassungserklärung abzugeben. Der Richter tat es nicht. Nun 
verlangt Gäfgen neben der Unterlassung auch eine Entschädigung in 
Höhe von 10 000 Euro, die laut Anwalt Heuchemer einem wohltätigen 
Zweck zugute kommen sollen. Um den Rechtsstreit mit Ohlsen finanziell
durchzuhalten, benötigt Gäfgen Prozesskostenhilfe. Das 
Oberlandesgericht Frankfurt hat sie nun für die erste Instanz 
bewilligt.
    Der Beschluss dazu klingt in einigen Passagen fast schon wie ein 
Hinweis an Ohlsen, sein Leserbrief könnte unangenehme Folgen haben. 
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts erscheint es durchaus möglich, 
dass Gäfgens Klage gegen Ohlsen Erfolg haben könnte. Das 
Oberlandesgericht will nicht ausschließen, dass der Leserbrief "eine 
schwer wiegende Verletzung des unantastbaren Kerngehalts der 
Menschenwürde" Gäfgens darstellt. Oder zumindest eine "schwer 
wiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts" in Betracht 
kommt. Damit "liegt nicht ohne weiteres auf der Hand", dass in einem 
späteren Prozess der Meinungsfreiheit Ohlsens der Vorrang eingeräumt 
wird. In einem Punkt verzichtet das Oberlandesgerichts allerdings auf
den Konjunktiv - als es den Begriff des "Nicht-Menschen" in die Nähe 
der Nazi-Propaganda rückt.
    Ohlsen, Richter an der 30. Zivilkammer des Berliner Landgerichts,
war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Unklar 
bleibt, ob die Berliner Justiz dem Leserbrief Konsequenzen folgen 
lässt. Der Berliner Landgerichtspräsident Peter Joachim von Drenkmann
hatte noch im Dezember 2004 disziplinarrechtliche Ermittlungen gegen 
Ohlsen eingeleitet, außerdem reichte die Berliner Anwältin Petra 
Schlagenhauf eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Das 
Disziplinarverfahren laufe noch, sagte am Dienstag Juliane 
Baer-Henney, Sprecherin von Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). Ob 
nun der Beschluss des Frankfurter Oberlandesgerichts die Sache 
beschleunigt, konnte Baer-Henney nicht sagen. In Justizkreisen hieß 
es, so ein Disziplinarverfahren könne lange dauern.
Inhaltliche Fragen richten Sie bitte an: Der Tagesspiegel,
Frank Jansen, 030-26009-430

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