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Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Keine Scham ohne Liebe - Ein Plädoyer für den Patriotismus Von Jürgen Rüttgers

Berlin (ots)

In einem Beitrag für den "Tagespiegel" plädiert der
stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Jürgen Rüttgers für einen
Patriotismus, der sich mit Stolz und Scham zu Deutschland bekennt.
Viele Konservative, so Rüttgers, hegten ptriotische Gefühle, redeten
jedoch eher verschämt darüber. "Eine verordnete Gefühllosigkeit dem
eigenen Land gegenüber ist für kein Land eine gute Perspektive." Zu
Deutschland gehöre das Gefühl der Scham über die Nazi-Verbrechen.
Rüttgers betont aber: "Es gibt keine Scham über Deutschland ohne
Liebe zu Deutschland." Das Land brauche Patriotismus, damit es
bleibe, was es seit 50 Jahren sei. "Ein Land, aus das wir stolz sein
können, ein Land, das wenig Anlass geboten hat, sich seiner zu
schämen."
In der Folge finden Sie den kompletten Beitrag (Tagesspiegel vom
27.11.03):
Dürfen Deutsche ihr Vaterland lieben? Dürfen sie ihre Liebe oder
ihren Stolz öffentlich zei-gen? In den USA oder in Großbritannien ist
Patriotismus ein Gegenstand offensiver öffentlicher Bekenntnisse. Was
konservativ ist, wird dort mit großem Selbstbewusstsein diskutiert.
In Deutschland führt das Thema jedesmal zu Verkrampfungen. Die Linke
fürchtet patriotische Gefühle von Deutschen immer noch wie eine
Krankheit. Die Krankheit muss aus ihrer Sicht kuriert werden, weil
sie sonst zwangsläufig in Nationalismus, Chauvinismus und
Militarismus endet. Das sei die schmerzliche Lehre, die wir Deutsche
aus der Geschichte ziehen müssen. Darin wirkt das verbrecherische
Regime des Nationalsozialismus bis heute fort. Viele Konservative
hegen patriotische Gefühle. Sie reden jedoch eher verschämt darüber,
mit einer Litanei von Entschuldigungen, damit sie bloß nicht
missverstanden werden. Eine verordnete Gefühllosigkeit dem eigenen
Land gegenüber ist für kein Land eine gute Perspektive. Patriotismus
ist Vaterlandsliebe. Was man mit Liebe tut, tut man besser als das,
was man gleichgültig tut. Für jeden Lebensbereich gilt das. Nur im
Verhältnis zu unserem Land sollte es nicht gelten? Es ist nicht
ehrlich, von Politikern zu verlangen, dass sie sich mit Herz und
Verstand für Deutschland engagieren sollen, und anderseits von ihnen
zu hö-ren, dass sie es aus emotionaler Gleichgültigkeit heraus tun.
Jeder Deutsche mit Anstand hat ein verzehrendes Gefühl von Scham,
wenn er sich die Verbrechen vergegenwärtigt, die in deutschem Namen
geschehen sind. Ich will kein Deutschland, das dieses Schamgefühl
verliert. Es wäre ein unanständiges Deutschland.
Ich möchte aber auch eine andere Wahrheit aussprechen: Es gibt
keine Scham über Deutschland ohne Liebe zu Deutschland. Wer als
Deutscher seinem Land gleichgültig ge-genübersteht, wie sollte der
sich denn schämen für das, was von Deutschen verbrochen wurde? Wie
sollte er stolz auf das Große sein, das von Deutschen getan wurde?
Scham und Stolz sind nicht ohne Liebe denkbar. Wir brauchen eine
Liebe zu Deutschland, die sicherstellt, dass wir uns weder dem Gefühl
der Scham über das Entsetzliche entziehen, noch uns den Stolz auf das
Gute versagen.
Es gibt kein moralisches Kassenbuch der deutschen Geschichte, in
das wir Hitler als Minus und Goethe als Plus eintragen könnten mit
dem Ergebnis eines augeglichenen Saldos. Da ist nichts zu verrechnen.
Wir haben die Scham über den einen und den Stolz auf den ande-ren
auszuhalten und wachzuhalten. Vor allem haben wir dafür zu sorgen,
dass Deutschland bleibt, was es seit fünfzig Jahren ist: Ein Land,
auf das wir stolz sein dürfen, ein Land, das wenig Anlass geboten
hat, sich seiner zu schämen. Für dieses Land ist es nicht gut, wenn
wir die Liebe zu ihm unterdrücken und die gleichgültige
Emotionslosigkeit gutheißen. Deutschland darf den Deutschen am
wenigsten gleichgültig sein. Dieser Stolz und diese Scham sind die
patriotische Grundlage des Neubaufbaus von Deutschland gewesen. Sie
müssen die patriotische Grundlage unserer Arbeit für die Zukunft
Deutschlands bleiben.
Patriotismus liegt in der Liebe zum Eigenen. Nationalismus liegt
in der Ausgrenzung und im Hass des Anderen. Daher muss
antisemitisches Reden und Handeln jeden beleidigen und mit Scham
erfüllen, der dieses Land liebt. Ich sagte, dass unser Land in den
letzten 50 Jah- ren für einen Patrioten wenig Anlass geboten hat,
sich seiner zu schämen. Zu dem wenigen gehört, dass in Deutschland
Synagogen und jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz stehen
müssen. Für Deutsche, die ihr Land lieben, ist das unerträglich.
Viele große Herausforderungen fordern unseren Patriotismus. Eine
davon ist die Integration der rechtmäßig bei uns lebenden Bürger
ausländischer Herkunft. Wie wollen wir die Integrationsaufgabe
bewältigen, wenn wir selbst einer emotionalen Bindung an unser Land
skeptisch gegenüberstehen? Als sei Liebe zu Deutschland eine
Untugend, die man besser verborgen hält! Wir haben so viel Distanz zu
unserer Nation und ihren Werten gewonnen, dass wir es für eine
Zumutung halten, wenn wir von anderen verlangen, dass sie unsere
Sprache sprechen. Kein Wunder, wenn dann die Integration nicht
gelingt. Eine zweite Herausforderung ist die europäische Einigung.
Unser Ziel muss eine europäische Nation mit europäischer
Staatlichkeit sein. Die jeweiligen Bekenntnisse zu gemeinsamen
Erinnerungen und Hoffnungen, gemeinsamem Leid, gemeinsamem Stolz,
aber auch gemeinsam ge-fühlter Scham sind kein Hindernis, sondern die
Voraussetzung eines europäischen Patriotismus. Nur wer definieren
kann, was das Eigene ist, kann mit anderen eine Zukunft haben.
Deutschland braucht Patriotismus als Liebe zum Vaterland und als
Engagement für das Vaterland. Es bleibt sonst kein liebenswertes
Land. Es ist falsch, den Patriotismus zu bekämpfen, weil er
pervertiert werden kann. Hitler war mit Sicherheit kein Patriot.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Meinung, Telefon 030/26009-444
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Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
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