Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE)
Eltern von Kindern mit Behinderung verdienen Rücksicht und Respekt
Karlsbad (ots)
Ergotherapeut:innen betrachten und behandeln Eltern von Kindern mit Behinderung als Menschen, die Großartiges leisten
Der 3. Dezember erinnert jedes Jahr an Kinder und Erwachsene mit Behinderung. Ebenso wichtig wie das Würdigen der Menschen mit einer Behinderung selbst ist es, und zwar nicht nur an diesem Gedenktag, auf die Eltern dieser Kinder und Erwachsenen zu schauen und sie wertzuschätzen. "Die Eltern oder Elternteile eines Kindes mit einer Behinderung begleiten und pflegen es je nach Ausprägung der Behinderung oft bis ins Erwachsenenalter oder ein Leben lang", ruft Renate Weyrich, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) diese bedeutungsvolle Tatsache ins Bewusstsein. Dass die Eltern oft "untergehen", weiß sie als Mutter einer Tochter mit Behinderung aus eigener Erfahrung. Sie selbst richtet daher ebenso wie ihre Berufskolleg:innen bei ihren Interventionen mit Kindern oder Erwachsenen mit einer Behinderung immer auch ein Augenmerk auf die Eltern. "Sie sind die treibende Kraft in der Familie und benötigen ausreichend Energie und Hilfe, um den täglichen Anforderungen gewachsen zu sein", fasst Weyrich zusammen.
Es sind vergleichsweise wenige Eltern, die bei oder direkt nach der Geburt wissen: mein Kind hat eine Behinderung. Vielmehr zeigen sich Behinderungen eher im ersten, zweiten oder dritten Lebensjahr eines Kindes. Zwar gibt es bereits im Krankenhaus Screenings, jedoch greifen diese nicht immer - gerade, wenn es um seltene Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen oder bestimmte Gendefekte geht. "Oft läuft es so ab, dass Eltern mit einem vermeintlich gesunden Kind im Lauf der Zeit merken: mit meinem Kind stimmt etwas nicht", bestätigt die Ergotherapeutin und ermutigt gleichzeitig betroffene Eltern, zeitnah zu handeln, wenn sie bei ihrem Kind feststellen, dass es sich nicht so entwickelt, wie die anderen Babys oder Kinder. Professionelle Hilfe bringt einerseits weitere Erkenntnisse und bestenfalls Klarheit. Außerdem lassen sich - bestätigt sich der Verdacht einer Behinderung - unmittelbar sämtliche Register ziehen, um alles in bestmögliche Bahnen zu lenken; sowohl für die Kinder mit einer Behinderung, als auch für die Eltern und eventuelle Geschwisterkinder.
Betroffene Eltern und Ergotherapeut:innen wünschen sich mehr Einfühlungsvermögen im Moment der Diagnose
Erhalten Eltern die Diagnose, dass ihr Kind eine Behinderung hat, ist dies für die meisten ein Schock und eine traumatische Situation, die viele noch lange mit sich herumtragen - selbst dann, wenn sie zuvor realisiert haben, mit dem Kind stimmt etwas ganz gravierend nicht. "Es wäre schön, wenn alle Ärzt:innen solch schwerwiegende Nachrichten einfühlsam und in einem geschützten Rahmen überbringen könnten", wünscht sich die Ergotherapeutin Weyrich. Tatsächlich fühlen sich betroffene Eltern gerade in diesem, ihr Leben maßgeblich verändernden Moment häufig alleine gelassen mit ihren vielen Fragen, mit ihrer Hilflosigkeit und mit ihrer Trauer. "Trauer und Verlust sind zentrale Themen für Eltern, deren Kind eine Behinderung hat", sagt Weyrich und fährt fort: "Zunächst ist es die Trauer darüber, dass das Kind und die Eltern nicht die Zukunft, aber auch die Geschwisterkinder nicht die Kindheit haben werden, die sie alle sich erträumt haben". Außerdem sind da viele Ängste, etwa: wie sind die Überlebenschancen des kranken Kindes, wie kann die Familie das alles aushalten, wie verhalten sich Angehörige, wie die Freunde? Die gesamte Familie findet sich unvorbereitet vor immense Herausforderungen gestellt und sieht sich verschiedensten Belastungen ausgesetzt. Um an erster Stelle dem Kind mit einer Behinderung schnell und zielgerichtet zu helfen und gleichzeitig die Folgen für den Rest der Familie möglichst gut abzufangen, ist ein Team aus verschiedenen Fachdisziplinen entscheidend. An dieser Stelle spielen Ergotherapeut:innen eine bedeutende Rolle: Sie sind für das betroffene Kind da und sie kümmern sich ebenfalls um die Eltern und das Umfeld.
So kümmern sich Ergotherapeut:innen um das Kind mit Behinderung und dessen Eltern
Der Beruf der Ergotherapeut:innen ist aus dem Bedarf, Menschen mit einer Behinderung in den Alltag zu reintegrieren, entstanden. Ergotherapeut:innen arbeiten mit einem Kind mit einer Behinderung daran, seine Fähigkeiten zu verbessern oder Strategien zu entwickeln, um fehlende Fertigkeiten zu kompensieren. Das Ziel: den Alltag so selbstbestimmt als möglich zu bewerkstelligen. "Zu Beginn, während oder am Ende der Therapieeinheit gibt es immer die Gelegenheit, mit der Mutter oder dem Vater, der das Kind gebracht hat, zu sprechen und herauszufinden: Wie geht es ihr oder ihm gerade," erklärt Renate Weyrich, die weiß wie wichtig es für Eltern eines Kindes mit Behinderung ist, als Mensch mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen gesehen zu werden. Ergotherapeut:innen beziehen den sogenannten erweiterten Klientenkreis, also Eltern, Familie, Umfeld, in die Therapie mit ein. Außer der Möglichkeit, sich therapiebegleitend ein Bild von der aktuellen Lage der Familie zu machen, können Ergotherapeut:innen auch im Rahmen der Elternberatung näher auf deren Situation eingehen. Braucht ein Elternteil vielleicht gerade eine (Therapie-)Pause oder gibt es andere Dinge, die zu besprechen sind, etwas, wobei Ergotherapeut:innen unterstützen können? Bei ihren Interventionen setzen Ergotherapeut:innen Analysemöglichkeiten ein wie zum Beispiel ein Betätigungsprofil, das unter anderem zeigt: hat der- oder diejenige neben allen Pflichten und Dingen, die zu erledigen sind, auch Momente zum Durchatmen? Findet auch "einfach nur Mama oder Papa sein" statt? Oder sie klären Fragen wie: Reicht der Pflegegrad für das Kind, gibt es eine Verhinderungspflegekraft, die im Krankheitsfall oder anderen Ausfallzeiten übernimmt? Und: Sind die Eltern oder Elternteile schon vernetzt?
Ergotherapeutische Empfehlungen - ein Gewinn für Eltern ebenso wie für das Kind mit Behinderung
"Ergotherapeut:innen informieren, unterstützen, stärken und bestärken Eltern von Kindern mit einer Behinderung in vielerlei Hinsicht und sie ermutigen sie, sich unbedingt zu vernetzen, sich mit anderen zu verbinden, die ebenfalls ein Kind pflegen und mehr Verständnis aufbringen können, als die Menschen aus dem direkten Umfeld, die gesunde Kinder haben" verdeutlicht Renate Weyrich weitere Aspekte der großen Bandbreite ihrer ergotherapeutischen Arbeit. Ein weiterer Faktor, der die ergotherapeutische Intervention von der Arbeit anderer Fachdisziplinen abhebt: Ziele zu definieren, die die Pflege erleichtern, um die Lebensqualität der Eltern anzuheben und so dafür sorgen, dass sie und in der Folge die gesamte Familie entspannter durch den Alltag kommen. Eine weitere Option, den Alltag besser zu bewältigen, ist der Austausch mit anderen Betroffenen. Dazu empfehlen Ergotherapeut:innen wie Renate Weyrich beispielsweise Selbsthilfegruppen wie Mein Herz Lacht oder lavanja. Auch raten Ergotherapeut:innen zu einer Mitgliedschaft im Sozialverband VdK Deutschland e.V., um für den Fall der Fälle juristischen Beistand auf hohem Niveau zu erhalten. Nicht zuletzt bietet Renate Weyrich ebenfalls - für die Kursteilnehmenden kostenlose, weil durch die Pflegekassen finanzierte - zertifizierte Elternkurse an. Im Rahmen dieser Schulungen erfahren Eltern Näheres zu den verschiedenen Bewältigungsphasen; gleichzeitig bieten die Veranstaltungen eine Plattform für den Austausch, um vom Wissen und den Erfahrungen aller zu profitieren.
Ergotherapeut:innen handeln systemisch, empfehlen Exklusivzeit für Geschwisterkinder "Niemand ist alleine krank", zitiert die Ergotherapeutin Weyrich einen Buchtitel. Auch wenn belegt ist, dass "lediglich" etwa zehn Prozent Geschwisterkinder von Kindern mit einer Behinderung eine Auffälligkeit entwickeln, die behandelt werden muss: Geschwisterkinder benötigen die Liebe und Zuwendung ihrer Eltern ebenso sehr wie das Kind mit Behinderung. "Das lässt sich gut durch verlässliche quality time kompensieren", nimmt Renate Weyrich Eltern von Kindern mit einer Behinderung diese Sorge. Sie weiß, dass schon bestimmte Routinen ausreichen, wie etwa jeden Abend eine Geschichte nur für das gesunde Kind vorlesen oder einmal im Monat einen ganzen Tag alleine mit Mama oder Papa verbringen oder was auch immer sich für die jeweilige Familie als machbar und geeignet erweist. Ergotherapeut:innen entwickeln hierfür gerne gemeinsam mit den betroffenen Eltern Ideen, die sie unkompliziert in ihren Alltag integrieren können. Abschließend betont die Ergotherapeutin, welch positive Entwicklung Geschwister eines Kindes mit einer Behinderung erleben: "Sie sind oft sehr selbstständig, ausgesprochen empathisch und sie bringen das mit, was man sich von der ganzen Welt wünscht: Sie machen den Wert eines Menschen nicht an dem fest, was er kann".
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche. Zum Podcast gerne hier entlang: https://dve-podcast.podigee.io/
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE),
a.reinecke@dve.info
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