CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Rühe: Position der Mittelmeerländer zur
EU-Osterweiterung nicht akzeptabel
Teil 1 von 2
Berlin (ots)
In seiner Rede zu den "Deutschen Interessen an der EU-Osterweiterung", die er heute Abend vor der Berliner Europa Union halten wird, erklärt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Rühe MdB:
Die konkreten politischen und wirtschaftlichen Vorteile der EU-Osterweiterung insbesondere für Deutschland werden den Bürgern viel zu wenig deutlich gemacht. Deshalb ist es ein Ausdruck des Mangels an politischer und geistiger Führung durch die Bundesregierung, dass trotz dieser großartigen Chancen nach den jüngsten Umfragen nur 36% der Bundesbürger der Erweiterung zustimmen.
Nicht akzeptabel ist die Forderung insbesondere Spaniens, aber auch anderer Mittelmeerländer, die jetzt in den Beitrittsverhandlungen zu regelnde Frage der Freizügigkeit für Arbeitskräfte und Dienstleistungen mit einer Bestandsgarantie für die weitere finanzielle Förderung verknüpfen zu wollen. Mit ihrem Ruf "Hände weg von unseren Strukturhilfen" müssen sich diese Länder den Vorwurf gefallen lassen, mit den künftigen Partnern nicht teilen bzw. den Nettozahlern erhebliche zusätzliche Lasten aufbürden zu wollen. Ein solches Verhalten ist ausgesprochen unsolidarisch und unfair, nachdem die Gemeinschaft diese Ländern über viele Jahre hinweg massiv und erfolgreich unterstützt hat und ihnen dadurch beispielsweise auch die Mitgliedschaft in der Währungsunion möglich wurde. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Solidarität mit denjenigen Ländern zu zeigen, die 40 Jahre durch Moskau an ihrer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung gehindert wurden und deshalb jetzt die meiste Unterstützung brauchen."
Der anliegende Text ist frei! Volker Rühe MdB: Deutsche Interessen an der EU-Osterweiterung
Rede vor der Europa Union Berlin, 16. Mai 2001
Die Verhandlungen über den Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union sind in ein neues, schwierigeres Stadium eingetreten. Beispielhaft zeigt sich dies an der derzeitigen Diskussion über die Frage von Übergangsfristen bei der Freizügigkeit - ein Thema, mit dem bei vielen unserer Bürger Sorgen und Ängste verbunden sind.
Als Antwort darauf müssen zum einen Lösungen gefunden werden, die dem konkreten Problem gerecht werden. Zum anderen müssen den Menschen gerade angesichts der Sorgen und Ängste immer wieder die großartigen Chancen und die herausragende politische Bedeutung der Osterweiterung für unser Land wie für Europa insgesamt deutlich gemacht werden. Das aber geschieht aus meiner Sicht viel zu wenig.
Denn viele sprechen heute von der Osterweiterung so, als handele es sich um einen gewohnten, fast routinemäßigen Vorgang. Aber die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten ist nicht vergleichbar mit früheren Erweitungen, denn worum es sich diesmal handelt, das ist mehr als die Wiedervereinigung Europas.
Bei früheren Erweiterungen ging es vor allem um die Aufnahme von Staaten, die zunächst nicht in die Europäische Union wollten - wie beispielsweise England - oder die aus innenpolitischen Gründen nicht konnten - wie Spanien und Portugal, die Diktaturen waren.
Polen aber, Ungarn, Tschechien oder gar die baltischen Staaten sind 40 Jahre lang von Moskau daran gehindert worden, Mitglied zu werden. Polen wäre vermutlich eines der Gründungsmitglieder der EWG gewesen, hätte es Jalta und die stalinsche Teilung Europas nicht gegeben.
Die Osterweiterung der Europäischen Union ist mehr als die Wiedervereinigung Europas, denn wenn Polen, Deutschland, Frankreich und viele andere europäische Staaten nicht nur in der NATO, sondern auch in der EU integriert sind, dann ist das eine Nähe, eine Gemeinsamkeit und ein Miteinander, wie das nie zuvor in der Geschichte Europas der Fall war.
Wir haben jetzt die großartige Chance, das zu verwirklichen, was für die Gründungsväter Adenauer, Schuman und De Gasperi noch eine Vision war - nämlich Frieden, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Prosperität in Europa dauerhaft zu sichern.
I. Ich möchte zunächst an wenigen Beispielen die politischen und wirtschaftlichen Chancen und Vorteile der Erweiterung deutlich machen:
- Die Aufnahme der ostmitteleuropäischen Beitrittskandidaten macht den Frieden in Europa sicherer. Schon die Vorbereitung auf den möglichen Beitritt hat in diesen Ländern zu erheblichen Fortschritten bei der Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geführt.
- Die innere Sicherheit unseres Landes wird durch die Erweiterung gestärkt werden. Denn mit der Übernahme der EU-Visapolitik und der Schengen-Regelungen durch die neuen EU-Mitglieder sowie durch die Zusammenarbeit im Europol-Verbund werden illegale Zuwanderung und organisierte Kriminalität erfolgreicher bekämpft werden können. Zudem verschiebt sich die Außengrenze der EU von der deutschen Grenze um 750 km nach Osten.
Es ist selbstverständlich, dass die Kontrollen an unserer Ostgrenze erst aufgehoben werden, wenn gewährleistet ist, dass die neuen Mitgliedstaaten die EU-Standards voll erfüllen. Doch ich bin überzeugt davon, dass dies mit dem Beitritt der Fall sein wird. Jedenfalls habe ich diesen Eindruck vor wenigen Tagen an der ungarisch-ukrainischen Grenze gewonnen, wo sich die Grenzbeamten sehr genau bewusst sind, dass sie dort nicht nur für die innere Sicherheit in ihrem eigenen Land, sondern auch für die in Deutschland oder Frankreich zu sorgen haben. Es liegt deshalb in unserem Interesse, dass wir unsere künftigen EU-Partner auch weiterhin tatkräftig bei der Ausbildung und bei der materiellen Ausstattung unterstützen, weil dies unserer eigenen Sicherheit dient.
- Durch die EU-Mitgliedschaft werden in den mittel- und osteuropäischen Ländern vorhandene Umweltprobleme besser gemindert, und es werden grenzüberschreitende Umweltrisiken eher entschärft werden können, Denn durch den Beitritt werden diese Länder - von bestimmten Übergangsfristen abgesehen - die hohen EU-Umweltstandards übernehmen. Um zu diesen Standards aufzuschließen, unternehmen die Beitrittskandidaten große Anstrengungen, so dass es schon heute auch bei uns als Folge davon zu Verbesserungen der Umweltsituation gekommen ist- eine sauberere Elbe und gemeinsame deutsch-polnische Abwasserkläranlagen in Guben und Swinemünde sind nur zwei Beispiele dafür.
- Die Erweiterung eröffnet den EU-Staaten neue Absatzmärkte in Ostmitteleuropa. Damit sind dauerhafte Wachstums- und Beschäftigungschancen verbunden. Das gilt vor allem für den Bereich kapitalintensiver, technologisch anspruchsvoller, komplexer Produkte und Dienstleistungen.
Dass Deutschland als größter Exporteur davon überdurchschnittlich profitieren wird, das hat sich bereits im Exportboom zwischen 1993 und 1998 gezeigt, als die deutschen Ausfuhren in die mittel- und osteuropäischen Länder um über 230 % zulegen konnten. Die durch die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise bedingte Schwächephase im Jahre 1999 ist mittlerweile überwunden: im Jahr 2000 stiegen die deutschen Exporte in die mittel- und osteuropäischen Länder erneut überdurchschnittlich um mehr als 20 % an.
So ist es wohl keine allzu gewagte Prognose, dass diese Länder in Kürze für den Export deutscher Waren genauso wichtig oder gar noch wichtiger sein werden als Amerika.
- Von dieser dynamischen Entwicklung in den Handelsbeziehungen hat der deutsche Arbeitsmarkt eindeutig profitiert. Deutsche Handelsbilanzüberschüsse bedeuten einen Netto-Beschäftigungsgewinn gegenüber Mittel- und Osteuropa. Schon heute sichert der Handel mit den Beitrittsländern jeden zehnten exportbedingten Arbeitsplatz in Deutschland.
Am Beispiel unseres Nachbarn Polen lässt sich sehr deutlich zeigen, wie sehr unser Land schon jetzt von der bevorstehenden Erweiterung profitiert und auch künftig profitieren wird: Polen - ein Markt mit fast 40 Millionen Verbrauchern, so vielen wie in Belgien, den Niederlanden, Österreich und Schweden zusammen - ist der größte Handelspartner Deutschlands in der Region und ist inzwischen auf Platz zehn im weltweiten Export vorgerückt. Über 40 % der EU-Exporte nach Polen stammen aus Deutschland.
Der deutsche Handel mit Polen ist seit 1995 um 70 % gestiegen, der deutsche Export hat sich im gleichen Zeitraum fast verdoppelt. Der hohe deutsche Exportüberschuss im Handel bedeutet, dass durch den Export mehr Arbeitsplätze geschaffen und gesichert wurden, als durch den Import eingespart werden. Nach Schätzungen hängen mittlerweile mehrere hunderttausend Arbeitsplätze in Deutschland maßgeblich vom Handel mit Polen ab.
- Schließlich - und dies soll ein letztes Beispiel für die Vorteile und Chancen der Erweiterung sein - wird die EU durch die Erweiterung zum mit Abstand größten Binnenmarkt der westlichen Welt mit ca. 480 Millionen Verbrauchern werden. Das stärkt mit Blick auf die zunehmende Globalisierung die Position der europäischen und deutschen Unternehmen. Denn ihre Wettbewerbsfähigkeit wird auf den globalen Märkten durch neue Investitionschancen in den Niedriglohnstandorten Mittel- und Osteuropas insgesamt zunehmen. Das wiederum sichert heimische Beschäftigung. Zugleich steigen die Chancen, bei Zukunftstechnologien die globalen technischen Standards bestimmen zu können und sich damit Wettbewerbsvorsprünge gegenüber den USA und Fernost zu verschaffen.
Zusammengefasst heißt das: Durch die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten und ihrer Wachstumsmärkte wird die Europäische Union als mit Abstand größter Binnenmarkt der westlichen Welt ihre Interessen im globalen Wettbewerb besser behaupten können, sie wird ihr Gewicht und ihren Einfluss in der Welt und in den internationalen Organisationen wie der UNO oder der Welthandelsorganisation WTO erhöhen können. Ein solches stabiles und starkes Europa wird als ein wirksamer Stabilitäts- und Ordnungsfaktor handeln können und wird damit auch die transatlantische Partnerschaft stärken.
Insofern gehört die Osterweiterung zu den überzeugendsten Antworten Europas auf die Herausforderungen der Globalisierung und ist aus meiner Sicht der wichtigste Beitrag, den Europa zur Stabilisierung der Welt leisten kann.
Ich habe die Chancen und Vorteile so ausführlich dargestellt, weil aus meiner Sicht fast nur über die Probleme und Herausforderungen geredet wird, über die wir auch sprechen müssen. Aber darüber dürfen doch nicht die großartigen Chancen der Erweiterung zerredet werden.
Warum beispielsweise gibt es noch immer keine Informationskampagne der Bundesregierung, die mit positiven, leicht verständlichen Argumenten für die Erweiterung wirbt? Und warum wird unseren Bürgern nicht erklärt, welche konkreten politischen und wirtschaftlichen Vorteile die Erweiterung für unser Land bringt?
Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass nach den jüngsten Erhebungen der Eurobarometer-Umfrage nur 36% der Bundesbürger der Erweiterung zustimmen.
Und deshalb sage ich, das ist Ausdruck eines Mangels an politischer und geistiger Führung, wenn nicht einmal das Land, das politisch und ökonomisch am meisten von der Osterweiterung profitiert, in der Lage ist, seine Bevölkerung mehrheitlich für den Integrationsprozess zu gewinnen. Was sollen wir dann von Spanien, Italien und Großbritannien oder Frankreich erwarten?
Und deshalb müssen wir mehr über die Chancen und Vorteile sprechen.
II. Natürlich brauchen wir neben der Chancendarstellung auch überzeugende Antworten auf die Sorgen unserer Bürger vor der Osterweiterung - beispielsweise auf die Sorge, dass es durch die Osterweiterung einen massiven Zustrom billiger Arbeitskräfte geben könnte und dies zu sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit führen würde.
Alle aktuellen Untersuchungen zeigen, dass damit nicht zu rechnen ist. Es ist eben nicht so, als säßen die Menschen in Polen, Tschechien oder Ungarn bereits auf gepackten Koffern, um nach dem Beitritt ihres Landes in Scharen hierher zu kommen. Denn entweder sind sie schon hier - als Folge der bisherigen Liberalisierungen, oder aber die meisten bleiben in ihrem Land, weil sie mit dem bevorstehenden Beitritt eine gute Perspektive für das eigene Leben zuhause haben.
Wenn aber die Erweiterung hinausgezögert wird, dann werden sie vermehrt nach Deutschland kommen - ganz nach dem Wahlspruch: "Wenn die EU nicht zu uns kommt, dann gehen wir zur EU". Die Erfahrungen aus früheren Erweiterungen jedenfalls haben gezeigt, dass der Auswanderungswunsch nachlässt, wenn den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft geboten wird. Auch deshalb ist ein zügiger Beginn der Erweiterung notwendig.
Andererseits darf es auf Grund der unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht durch Zuwanderung zu einer Verschärfung der Arbeitsmarktsituation - insbesondere in den strukturschwachen und grenznahen Regionen - kommen.
Wie hoch die Zuwanderung nach Deutschland tatsächlich wird, ist unklar. Es gibt Studien, die sprechen von 80.000 bis 90.000 Arbeitnehmern pro Jahr, andere von 220.000 bis zu 300.000 pro Jahr.
Deshalb sind zunächst- wie es auch bei den Beitritten von Spanien und Portugal der Fall war - Übergangsfristen erforderlich. Aber sie müssen flexibel sein und länderspezifisch angewendet werden.
In diesem Sinne halte ich - angesichts der Stimmungslage hier wie auch in Österreich, andererseits aber auch in den Beitrittsländern - den jüngsten Vorschlag der schwedischen Präsidentschaft für eine geeignete Lösung: Danach soll es jedem Mitgliedstaat bereits zwei Jahre nach der Osterweiterung frei stehen, seinen Arbeitsmarkt für Beschäftigte aus den neuen EU-Ländern zu öffnen. Zugleich sollen aber diejenigen Länder, die Schwierigkeiten für ihren Arbeitsmarkt befürchten, die Möglichkeit behalten, Zuwanderungsbeschränkungen bis zu einer Dauer von sieben Jahren beizubehalten. Dies sollte auch für bestimmte Dienstleistungen möglich sein.
Ich denke, dass eine solche Regelung deutlich machen würde, dass wir unsere künftigen EU-Partner nicht als zweitklassig betrachten oder sie diskriminieren wollen. Aber für eine gute gemeinsame Zukunft ist es besser, in dieser sensiblen Frage behutsam vorzugehen, statt die Entwicklungen zu überstürzen und damit nur Probleme für ein vertrauensvolles Miteinander heraufzubeschwören.
Ob Deutschland dann tatsächlich eine Übergangsfrist von sieben Jahren braucht oder ob diese nicht auf der Grundlage von jährlichen Überprüfungen deutlich verkürzt werden kann, wird sich zeigen. Denn angesichts der demografischen Lage wird schon bald eine erhebliche Zuwanderung von Fachkräften erforderlich sein.
Als nicht akzeptabel empfinde ich das Verhalten einiger Mittelmeerländer, ein Junktim zwischen der Frage der Freizügigkeit, die jetzt in den Beitrittsverhandlungen geregelt werden muss, und ihrer Forderung nach einer Bestandsgarantie für die Strukturförderung herzustellen. Denn die Frage der Strukturförderung ist bereits mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung beim Berliner Gipfel im Frühjahr 1999 für die Zeit bis zum Jahr 2006 geregelt worden. Sie wird dann wieder im Jahr 2006 mit der nächsten Finanzvorausschau für die Zeit von 2007 bis 2013 zu klären sein.
Mit ihrem Ruf "Hände weg von unseren Strukturhilfen" müssen sich diese Länder den Vorwurf gefallen lassen, mit den künftigen Partnern nicht teilen bzw. den Nettozahlern erhebliche zusätzliche Lasten aufbürden zu wollen. Ein solches Verhalten wäre ausgesprochen unsolidarisch und unfair, nachdem die Gemeinschaft diese Ländern über viele Jahre hinweg massiv und erfolgreich unterstützt hat und ihnen dadurch beispielsweise auch die Mitgliedschaft in der Währungsunion möglich wurde. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Solidarität mit denjenigen Ländern zu zeigen, die 40 Jahre durch Moskau an ihrer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung gehindert wurden und deshalb jetzt die meiste Unterstützung brauchen.
Meine Damen und Herren, besondere Sorgen und Ängste über die Erweiterung bestehen in den Grenzregionen. Sie sind naturgemäß von der Erweiterung besonders betroffen. Viele Probleme sind allerdings völlig unabhängig vom EU-Beitritt Polens und Tschechiens längst gegenwärtig und treten nicht erst in einigen Jahren ein wie beispielsweise Tankstellentourismus, Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Einkaufsmöglichkeiten.
Für viele Herausforderungen ist der Beitritt Polens und Tschechiens sogar Teil der Lösung, wenn dann die Menschen beiderseits der Grenze aus ihrer hemmenden Randlage befreit werden und in derselben Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten, Regeln, Institutionen, Herausforderungen, Perspektiven und Projekten leben und auf beiden Seiten die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten. Insofern bietet die Erweiterung gerade den Grenzregionen mittelfristig erhebliche Wachstumschancen.
Kurzfristig werden die Grenzregionen allerdings angesichts des erheblichen Wohlstands- und Lohngefälles Anpassungsschwierigkeiten bewältigen müssen. Über das hinaus, was die Bundesländer, die Kommunen und die Industrie- und Handelskammern bereits zur Vorbereitung auf die Erweiterung leisten, muss auch die EU-Kommission die Grenzregionen möglichst bald mit zusätzlichen Finanzmitteln gezielt unterstützen, wozu sie von den Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Nizza aufgefordert wurde. Aber auch die Bundesregierung könnte diesen Anpassungsprozess noch stärker als bisher fördern - insbesondere was die Verbesserung der Infrastruktur sowie Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen betrifft. Wichtig ist, dass die Grenzregionen so attraktiv sind, dass sie talentierte Menschen halten können.
III. Sorgen und Ängste vor der Erweiterung resultieren aber auch daraus, dass auf den Kreis der 12 Beitrittskandidaten auch noch die Türkei draufgesattelt wurde und den Ländern der Balkan-Region eine Beitrittsperspektive eröffnet wurde, ohne dass auch nur ausreichend klar ist, wie die EU eine solche Entwicklung politisch, institutionell und finanziell verkraften soll.
Unter diesen Voraussetzungen kann es doch nur eine Lösung geben: die EU muss sich so erweitern, dass sie sich dann auch noch weiter vertiefen kann. Und das heißt: es muss durch eine zügige Erweiterung unter den Beitrittskandidaten zu einer Differenzierung kommen, damit zunächst eine kleinere Gruppe von Ländern aufgenommen werden kann.
Deshalb muss alles dafür getan werden, damit Ende 2002 die Verhandlungen mit denjenigen Ländern abgeschlossen werden, die dann die vereinbarten politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kriterien für eine Mitgliedschaft erfüllen, wozu auch die Menschen- und Minderheitenrechte sowie funktionierende Verwaltungsstrukturen gehören. Dann könnten sich diese Staaten bereits an den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 beteiligen. Um dieses Ziel zu erreichen, dürfen die schwierigsten Fragen jedoch nicht bis ans Ende der Verhandlungen aufgeschoben werden.
Mehr als 11 Jahre nach Öffnung des Eisernen Vorhangs haben die Menschen in den mittel- und osteuropäischen Ländern jetzt endlich eine konkrete zeitliche Perspektive und können Licht am Ende des Tunnels sehen. Die immer noch erheblichen Reformanstrengungen werden dann besser zu bewältigen sein.
Ich gehe davon aus, dass vor allem Ungarn und Slowenien, aber auch Polen bis Ende 2002 in der Lage sind, "die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zueigen machen zu können", wie es in den Kopenhagener Beitrittskriterien heißt. Das setzt nicht nur eine stabile demokratische und rechtsstaatliche Ordnung voraus, sondern erfordert auch funktionsfähige marktwirtschaftliche Strukturen und eine selbsttragende Wettbewerbsfähigkeit.
- In den meisten Beitrittsländern ist politische Stabilität gewährleistet, die politischen Kriterien werden weitgehend - abgesehen von nicht unwesentlichen Ausnahmen in einzelnen Ländern - erfüllt. Das schließt deutliche Verbesserungen auch beim Schutz von Minderheiten ein, vor allem der russischen Minderheit in Estland und Lettland - ich erwähne dies, weil immer wieder - inzwischen ungerechtfertigte Vorwürfe - von russischer Seite gegen diese beiden Länder zu hören sind.
- Mit Ausnahme Bulgariens und Rumäniens, für die ich im Übrigen in diesem Jahrzehnt keine Beitrittschance sehe, sind alle Kandidatenländer inzwischen als funktionierende Markwirtschaften einzustufen. Manche - wie Ungarn und Slowenien - sind schon fast in der Lage, dem Wettbewerbsdruck in der Gemeinschaft standhalten zu können.
Wichtig dabei ist vor allem, dass die Beitrittsländer ihre Haushaltsstabilität verbessern, die Ausgaben in produktive Bereiche lenken und wachstumsfördernde Strukturreformen umsetzen. Je früher sie ihre Haushalte und Finanzmärkte in Ordnung bringen und krisenfest machen, desto reibungsloser werden sie der EU beitreten können.
- Ein großes Problem besteht allerdings noch beim Aufbau funktionsfähiger Verwaltungen, die in der Lage sind, das EU-Recht korrekt anzuwenden. Erhebliche Mängel bestehen zudem im Rechtssystem der Beitrittsländer, insbesondere zählen dazu die uneinheitliche, keine Rechtssicherheit bietende Rechtssprechung der Gerichte, der Mangel an qualifizierten Richtern sowie die verbreitete Korruption. Hier müssen noch die erforderlichen Verbesserungen geschaffen werden, um Bedenken der Öffentlichkeit entgegenzuwirken und um zu einem transparenten Umfeld für die Wirtschaft zu kommen.
es folgt Teil 2
Original-Content von: CDU/CSU - Bundestagsfraktion, übermittelt durch news aktuell