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Abgeschobene Syrer willkürlich verhaftet, gefoltert und verurteilt
"Report Mainz", heute, 14. Februar 2012, 21.45 Uhr im Ersten

Mainz (ots)

Bundesregierung wusste davon seit 2009 / Neue Erkenntnisse über mutmaßlichen syrischen Spion

Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" haben ergeben, dass der Bundesregierung und allen maßgeblichen deutschen Behörden seit spätestens 2009 bekannt war, dass abgeschobene Syrer willkürlich verhaftet, gefoltert und verurteilt wurden, beispielsweise wegen der Teilnahme an einer Assad-kritischen Demonstration hier in Deutschland. Trotzdem wurden Abschiebungen weiter vorgenommen - bis mindestens März 2011. In der Zeit von Januar 2009 bis Juni 2010 sind rund 73 Syrer außer Landes gebracht worden, mindestens 14 von ihnen landeten in syrischen Gefängnissen. Von fünf Abgeschobenen ist bekannt, dass sie schwersten Folterungen ausgesetzt waren. Das geht aus zum Teil vertraulichen Unterlagen des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums hervor. Ferner bestätigt ein aktueller, interner Vermerk des Berliner Verfassungsschutzes, dass ein "Agentennetz in Deutschland ... zur Einschüchterung von Regimegegnern" existiert. In Syrien drohen ihnen und ihren Familien "Festnahmen, Verhöre und Misshandlungen".

Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Jens Teschke, verweist in einer Stellungnahme darauf, dass Abschiebungen nach Syrien vor April 2011 nur dann erfolgen durften, "wenn die entsprechende Prüfung keinen Schutzbedarf ergeben hat". Seit dem Juli 2011 würden wieder positive Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsbürger getroffen.

Der Hannoveraner Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vertritt Opfer dieser Folter. 2009 war eine fünfköpfige Familie nach ihrer Abschiebung sofort verhaftet und gefoltert worden: "Die Befragungen waren einfach nicht nur die Befragungen, wie wir das in einem Rechtsstaat kennen, sondern mit Misshandlungen, Bedrohungen, Übergriffen, Androhungen von Vergewaltigungen und Scheinhinrichtungen verknüpft", sagte er im Interview mit "Report Mainz".

Auch Bernd Mesovic, rechtspolitischer Sprecher von Pro Asyl, kritisiert die Bundesregierung scharf: "Die Abschiebungspraxis aus Deutschland halte ich für eine direkte Kollaboration mit einem notorischen Folterregime. Wir haben das seit Jahren kritisiert, aber es ging immer weiter, obwohl immer mehr Fälle der Bundesregierung bekannt wurden, in denen es klar war, dass die Betroffenen, die Abgeschobenen nach ihrer Rückkehr sofort inhaftiert, verhört, misshandelt und gefoltert wurden."

Recherchen von "Report Mainz" haben außerdem ergeben, dass syrische Oppositionelle in Deutschland aktuell flächendeckend und systematisch bedroht und drangsaliert werden. Die in Berlin lebende Sondos Sulaiman, seit mehr als zehn Jahren oppositionell engagiert und Mitglied im Syrischen Nationalrat, erhält seit Monaten Drohungen per Mail und am Telefon, sogar nachts: "Sie sagen mir, dass ich meine Aktivitäten stoppen muss. Sie bedrohen mich. Sie wollten mich immer daran erinnern, dass meine Familie in Syrien ist und dass meine Aktivitäten gefährlich für meine Familie sein können." Ein Arzt, aktiv im Rhein-Main-Gebiet, schildert im Interview mit "Report Mainz", dass sein in Syrien lebender Bruder vom dortigen Geheimdienst einbestellt und zu ihm befragt worden sei: "Ein klares Zeichen für mich: Ich solle meinen Mund halten, sonst gibt es Ärger." Ähnliche Erfahrungen schildert auch der Übersetzer Khaled Alzayed, der die Schaltstelle der syrischen Opposition in Niedersachsen ist: "Ein Neffe von mir wurde vor einigen Wochen entführt und in die Wüste zu einem Versteck gebracht. Er musste sich ausziehen bis auf die Unterhose. Und nach einigen Stunden in der Kälte wurde er in der Wüste abgesetzt. Als die Geheimdienstler ihn entließen, sagten sie ihm: 'Das ist ein Gruß an Deinen Onkel'."

Vor einigen Tagen hat der Generalbundesanwalt (GBA) den Syrer Akram O. verhaftet. Er soll laut GBA planmäßig syrische Oppositionelle hierzulande bespitzelt haben. Nach Recherchen von "Report Mainz" war Akram O. seit mehreren Jahren als Rechtskonsultant des syrischen Botschafters tätig und hat 2011 an der Universität Hannover seine Promotion zum Dr. jur. bestanden. "Report Mainz" hat seine Facebook-Seite entdeckt. Diese weist ihn als treuen Anhänger des syrischen Diktators Assad aus. Sein Doktorvater, der Hannoveraner Strafrechtler Prof. Henning Radtke, nennt vor diesem Hintergrund Akram O. "einen großen Schauspieler". Ihm gegenüber habe er den Eindruck erweckt, dass er sich vom Assad-Regime angesichts der Massaker habe distanzieren wollen. Ein syrischer Oppositioneller beschreibt im Interview mit "Report Mainz", dass der Verhaftete Akram O. sein Büro gleich neben dem des Botschafters gehabt habe: "Er war der gefährlichste Mann in der Botschaft. Sogar der Botschafter hatte Angst vor ihm, weil er über direkte Kontakte in höchste Geheimdienstkreise des Assad-Clan verfügt." Über seinen Anwalt bestreitet Akram O. die gegen ihn erhobenen Vorwürfe.

Weitere Informationen finden Sie auf www.reportmainz.de.

Zitate gegen Quellenangabe frei.

Bei Rückfragen rufen Sie bitte in der Redaktion "Report Mainz" an unter Tel.: 06131/929-33351.

Original-Content von: SWR - Das Erste, übermittelt durch news aktuell

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