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Landeszeitung Lüneburg: "Wir haben eine ganze Menge gelernt"
Wasserbau-Experte Prof. Fröhle fordert breitere Debatte über Flut-Risiken und übergeordnete Planung des Schutzes

Lüneburg (ots)

Die Pegel sinken, das große Aufräumen hat begonnen. Nach dem zweiten "Jahrhunderthochwasser" innerhalb von elf Jahren gibt es nun eine Flut von Fragen: Wurden die richtigen Lehren aus der Flut von 2002 gezogen? Haben sich die neuen Schutzmaßnahmen bewährt? Der Harburger Wasserbau-Experte Prof. Dr.-Ing. Peter Fröhle sagt: Wir müssen mit dem Wasser leben und bestimmte Risiken in Kauf nehmen.

Die Bilder des Elbehochwassers von 2002 und von 2013 gleichen sich. Haben wir nichts dazugelernt?

Professor Dr.-Ing. Peter Fröhle: Die Bilder und der Verlauf waren in der Tat ähnlich. In beiden Fällen hat dauerhafter Starkregen im Einzugsgebiet der Elbe zu extrem hohen und langanhaltenden Abflüssen geführt, die in diesem Jahr teilweise sogar noch etwas höher waren als vor elf Jahren. Wir haben aber eine ganze Menge gelernt, und es ist seit 2002 auch vieles davon umgesetzt worden. Das betrifft natürlich hauptsächlich die damals am stärksten betroffenen Bereiche. In Dresden etwa gibt es in diesem Jahr deutlich weniger Schäden, auch Teilbereiche der Mulde sind diesmal lange nicht so stark betroffen wie vor elf Jahren. Es hat leichte Verschiebungen gegeben. Wo der Hochwasserschutz angepasst worden ist, hat dieser auch seinen Zweck erfüllt. Aber an Stellen, an denen die Planungen noch nicht umgesetzt werden konnten - zum Beispiel in Grimma - gab es erneut erhebliche Schäden.

Wurden Schutzmaßnahmen auch auf die lange Bank geschoben, weil man ja erst in rund 100 Jahren mit einem solchen Hochwasser gerechnet hat?

Fröhle: Es hat sicher Verzögerungen gegeben - auch unnötige. Das liegt zum einen am Planungsprozess, zum anderen auch an lokalen Entscheidungsträgern und Bürgerinitiativen. In Grimma, aber auch anderswo, hat sich gezeigt, dass einige Anwohner keinen Hochwasserschutz wollten. Auch wenn ein solches Hochwasser im statistischen Mittel nur einmal in hundert Jahren auftritt, bleibt die Wahrscheinlichkeit für jedes Jahr mit 0,01 gleich groß. Man kann definitiv nicht sagen: Wir haben 2002 eine 100-jährliches Hochwasser gehabt, deshalb haben wir bis 2102 Ruhe. Das Wiederkehrintervall ist eine statistische Größe.

Muss der Bürgerwille bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen eingeschränkt werden, wie Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich es fordert?

Fröhle: Ich habe diese Forderung von ihm so nicht wahrgenommen und kann mir nicht vorstellen, dass er an dieser Stelle die Demokratie einschränken will. Ich halte nichts davon, den Bürgerwillen einzuschränken. Vielmehr sollte man die betroffenen Bürger noch mehr an den Planungen von Hochwasserschutzmaßnahmen beteiligen. Dies ist im Allgemeinen förderlich für eine einvernehmliche, gemeinsam erarbeitete Lösung und kann Genehmigungsverfahren beschleunigen, wie einzelne Beispiele zeigen. Das soll nicht heißen, dass jede einzelne Stimme auch berücksichtigt werden kann. Vor diesem Problem stehen Sie aber bei jeder Planung - zum Beispiel auch bei Straßen. Aber wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt über ein Bauvorhaben, wird man sich über gewisse Widerstände hinwegsetzen müssen.

Sind die deutschen Genehmigungsverfahren für große Bauprojekte zu umständlich?

Fröhle: In Teilbereichen dauern Planungen sicher zu lange. Das liegt aber an der Umsetzung rechtlicher Rahmenbedingungen. Da haben wir sicher Bedarf an Vereinfachungen.

Bundesumweltminister Peter Altmaier wirbt jetzt für die Rückverlegung von Deichen. Das hat schon Kanzler Helmut Kohl nach dem Oderhochwasser 1997 angemahnt, als er sagte: "Wir müssen den Flüssen Raum lassen" -- ganz zu schweigen von Umweltschützern. Warum sind seit 2002 Hunderte Millionen Euro vor allem in den technischen Hochwasserschutz wie Deiche und Schutzwände geflossen statt in natürliche Flutungsflächen?

Fröhle: Hochwasserschutz ist immer als etwas Ganzheitliches zu sehen und funktioniert nicht ohne Deiche und Schutzwände - insbesondere in besiedelten Gebieten. Die Rückverlegung von Deichen kann man relativ einfach fordern, aber schwer politisch und gesellschaftlich umsetzen, weil Menschen betroffen sind, denen diese Flächen gehören. Und nicht zuletzt sind dies natürlich extrem teure Maßnahmen. Deshalb will die Verlegung von Deichen wohlüberlegt sein. Außerdem ist das kein Allheilmittel und hat vielfach nur einen geringen Effekt auf den Hochwasserscheitel. Hier sind gesteuerte Polder, mit denen man gezielt Hochwasserwellen kappen kann, viel effektiver. Ohne Deiche, Hochwasserschutzwände und gesteuerte Polder wird der Hochwasserschutz nicht funktionieren.

Sie gehören zu den 16 Professoren für Wasserbau und Ingenieurhydrologie, die eine Resolution unterzeichnet haben. Darin heißt es, vollständiger Hochwasserschutz sei ökonomisch weder sinnvoll noch technisch möglich. Sie fordern eine neue Risikokultur wie in den Niederlanden. Heißt das, die Semperoper mit aller Macht schützen und kleinere Orte absaufen lassen?

Fröhle: Das ist eine sehr verkürzte Interpretation. Es geht darum, dass die Gesellschaft eine Entscheidung darüber treffen muss, was unbedingt geschützt werden muss. In Passau wurden Wasserstände und Abflussmengen erreicht, die dort seit 500 Jahren nicht mehr aufgetreten sind. Auch gegen ein solches Ereignis, dass statistisch einmal in 500 oder 1000 Jahren auftritt, kann man sich technisch schützen - wenn man das will. Aber das kostet extrem viel Geld. Da muss man eine Grenze ziehen. Es gibt aber auf der anderen Seite kritische Infrastruktur, die auf gar keinen Fall überflutet werden darf: Atomkraftwerke und Umspannwerke etwa. Und natürlich dürfen Menschenleben nicht gefährdet werden. Diese Risiken müssen wir ausschließen, andere aber bewusst in Kauf nehmen.

Das Einzugsgebiet der Elbe umfasst vier Länder. In Deutschland sind zehn Bundesländer sowie zahlreiche Landräte und Bürgermeister zuständig. Brauchen Flüsse ein zentrales europäisches Management statt Kleinstaaterei, die vor allem regionale Vorteile im Auge hat?

Fröhle: Hochwasserschutz muss immer das gesamte Einzugsgebiet umfassen und dabei sind gemeinsame Anstrengungen absolut erforderlich. Es gibt übergeordnete Ansätze, zum Beispiel einen Katastrophenstab, aber eben noch nicht im Detail bei der Planung des Hochwasserschutzes. Die Zuständigkeiten dafür sind weiterhin auf Länder- beziehungsweise Landkreisebene angesiedelt. Die freiwillige länderübergreifende Zusammenarbeit wird aber mit jedem Hochwasser besser. Beispielsweise wurden von den jeweiligen Anrainerländern sogenannte Flussgebietsgemeinschaften unter anderem für Elbe, Weser und Rhein eingerichtet. Hier sollen Planungen abgestimmt werden.

Modernes Hochwasser-Management mit steuerbaren Poldern, Rückhaltebecken und Talsperren setzt exakte Wasserstandsvorhersagen voraus. Wa"rum waren die Prognosen diesmal so unzuverlässig?

Fröhle: Weil es Deichbrüche gegeben hat, die in den Szenario-Rechnungen nicht berücksichtigt waren. Die riesigen Wassermengen, die dadurch abgeflossen sind, haben - ähnlich wie Polder - im Unterlauf für eine Entlastung gesorgt. An dieser Stelle haben die Modelle offensichtlich versagt. Die Modelle an sich sind recht gut, müssen aber weiterentwickelt werden, damit man zukünftig auch operationell besser auf die sich teilweise schnell und dramatisch ändernden Rahmenbedingungen reagieren kann. Bei diesem Hochwasser konnte man es offensichtlich noch nicht. Deshalb waren die Prognosen auch teilweise deutlich höher als der tatsächliche Wasserstand. Aber diese Schwäche der Berechnungen hat man auch erkannt.

Was halten Sie von Hochwasser-Pflichtversicherungen - sozusagen als finanzieller Anreiz, sich nicht in Flussnähe anzusiedeln oder gar wegzuziehen?

Fröhle: Es wäre natürlich wünschenswert, dass Menschen in hochwassergefährdeten Gebieten schlicht nicht siedeln. In einigen Bereichen gibt es ja auch solche Vorschriften - aber eben auch Ausnahmegenehmigungen. Eine allgemeine deutschlandweite Pflichtversicherung für alle Bürger halte ich nicht für sinnvoll. Wenn man das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht, gibt es möglicherweise einfachere Finanzierungsformen. Aber eine Hochwasser-Pflichtversicherung für die Menschen, die in hochwassergefährdeten Gebieten leben, ist meines Erachtens sinnvoll. Dies würde auf jeden Fall sensibel machen für die Gefahren, die in diesen Bereichen bestehen. Eine solche Versicherung müsste dann natürlich angepasst werden an die jeweils zu erwartenden Schäden. Es ist durchaus möglich, auch in Überflutungsgebieten hochwasserangepasst oder hochwassersicher zu bauen.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Lehre aus dem Hochwasser in diesem Jahr?

Fröhle: Die wichtigste Lehre ist, dass es zukünftig eine übergeordnete Betrachtung und Planung von Hochwasserschutz geben muss und dass wir eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, welche Risiken wir zulassen wollen oder sogar zulassen müssen. Das Ziel muss es sein, Realitätsbewusstsein zu erlangen im Umgang mit den offensichtlichen Gefahren.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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