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Landeszeitung Lüneburg: Von Anfang an den Frieden planen
Generalmajor a.D. Millotat: Bei Bundeswehreinsätzen die Lehren von Carl von Clausewitz besser beherzigen

Lüneburg (ots)

Mit dem Ende des Kalten Krieges, des Patts zweier gigantischer Militärblöcke mit Overkill-Kapazität, starb auch die Idee von der Unführbarkeit eines Krieges. Auch die Bundeswehr wandelt sich von einer Abschreckungs- in eine Interventionsarmee. Wer in dieser Situation darauf verzichtet, die Lehren des preußischen Denkers Carl von Clausewitz zu berücksichtigen, wird diesen Fehler teuer bezahlen, meint Generalmajor a.D. Millotat.

Was hätte Carl von Clausewitz Politikern entgegnet, die den Bau von Schulen durch die Bundeswehr auf dem Balkan als "Erfolg" bewerteten, weil dies die Deutschen "beliebt" machte?

General a.D. Christian E. O. Millotat: Clausewitz würde sagen: Wenn ein solcher Aufbau erfolgt, muss er Teil eines gesamtstrategischen Konzeptes sein. In dieses müssen alle militärischen und alle zivilen Aufbauarbeiten eingehen. Sie müssen orchestriert werden, heute nennt man das comprehensive approach -- einen umfassenden Ansatz. Er würde sagen: Eure Soldaten, die getreu der deutschen Militärkultur die Initiative ergriffen haben, weil es ein Befehlsvakuum gab, haben tolle Arbeit geleistet. Aber: Diese Aufbauaktivitäten, wie auch das Sammeln von Kinderspielzeug für bedürftige Kinder, das Einrichten einer Weinfabrik sowie Hilfen bei der Rinderzucht hätten in dem Konzept aufgeführt sein müssen, das dem Einsatz zugrunde liegt. Im Falle des Kosovo ist dies die Resolution 1244 der Vereinten Nationen von 1999, in Bosnien-Herzegowina wäre dies das Friedensabkommen von Dayton. Weil dies aber nicht geschah, auch nicht nachgebessert wurde, verpuffte auf dem Balkan vieles, was gut gemeint war.

200 Jahre war in Deutschland höchst umstritten, ob man von Clausewitz etwas lernen könne. Heute studieren Generalstabsoffiziere an den Führungsakademien wieder "Vom Kriege". Was hat sich geändert?

Millotat: Clausewitz ist in Deutschland viel zu lange als Philosoph des Krieges begriffen worden. Er verschwand hinter einem Nebel des Philosophischen. Das führte dazu, dass er neben der starken Persönlichkeit des Generalfeldmarschalls von Moltke dem Älteren nicht mehr als der praktische Anleiter wahrgenommen wurde, der er war. Während Bismarck auch im Kriege das Vorrecht für die Politik einforderte, blieb Moltke mit seiner Auffassung tonangebend, wenn die Waffen sprächen, haben die Politiker zu schweigen. Das hatte fatale Folgen im Ers"ten und Zweiten Weltkrieg: Clausewitz' Lehre, dass die strategische Defensive die stärkste Aufstellung sei, wurde vergessen. Die strategische Offensive nach Moltke endete zweimal im Desaster.

Ist Krieg als Fortsetzung der Politik mit speziellen Mitteln nicht mehr verpönt, weil sich die Abschreckungsarmee in eine Interventionsarmee wandelt?

Millotat: Nein. Die Wiederbelebung der Clausewitzschen Lehre erfolgte über die USA. Historiker wie Sir Michael Howard und Peter Paret haben das schwierige philosophische Deutsch von Clausewitz in modernes Englisch übersetzt. Als die Amerikaner nach der Schmach von Vietnam ihre Streitkräfte neu organisierten, knüpften sie an Clausewitz' Auffassungen an. Es dauerte sehr lange, bis dieses ins deutsche Bewusstsein eindrang. Bei unseren verschiedenen Einsätzen wurde das breite Instrumentarium des Militärreformers zur Planung und Durchführung weitgehend ignoriert. Dabei zeigen die Interventionen auf dem Balkan und am Hindukusch, wie wichtig es ist, Clausewitz' Lehren zu berücksichtigen.

Verbündete Nationen haben die Stigmatisierung von Clausewitz nie nachvollzogen. Welche Lehren haben die USA aus seinem Werk gezogen?

Millotat: 1. Man braucht einen höchsten Militär, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Vorher war der Joint Chief of Staff nur ein primus inter pares. Jetzt ist er, wie Clausewitz im achten Buch fordert, der maßgebliche Berater der politischen Führung in militärischen Fragen. 2. Zwar wirkt das politische Primat immer bis zur untersten militärischen Ebene. Aber Clausewitz hat betont, dass die Politik keine Feldwachen aufstellt und keine Patrouillen führt. Die Lehre ist, nicht mehr -- wie noch im Vietnamkrieg -- bis auf die taktische Ebene durchzugreifen, sondern sich auf die jeweiligen militärischen Befehlshaber zu verlassen. 3. Man hat erkannt, dass eine Intervention von Anfang an nie ausschließlich militärisch geprägt sein darf. Auch die zivilen Aufbaukräfte müssen von Anfang an bei der Planung des Einsatzes eingebunden sein. Wo die Amerikaner dies nicht berücksichtigt haben, etwa beim zweiten Irakkrieg, waren die Konsequenzen denn auch verheerend. Auch im Bündnis besann man sich erst sehr spät. Erst in der neuen NATO-Strategie vom November 2010 ist für die politisch-strategische Ebene der comprehensive approach -- der umfassende Ansatz -- gefordert.

Nach Clausewitz soll die Politik schon zu Beginn eines Krieges dessen Ziel, den angestrebten Frieden, definieren. Wie beurteilen Sie von dieser Warte den Libyen-Feldzug?

Millotat: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, das Endziel eines militärischen Konfliktes -- also Frieden -- bereits in der strategischen Konzeption zu definieren. Das Ziel der Intervention in Libyen ist laut UN-Resolution, Gaddafi dazu zu zwingen, jede Aktion zu unterlassen, die zum Völkermord führt. Aber sie schließt den Einsatz von Bodentruppen der NATO oder anderer Bündnisse aus und folgt dem Wunsch der libyschen Freiheitskämpfer, den Demokratisierungsprozess durch Kampf mit eigenen Kräften selbst zu erzwingen. Ich halte das nicht für schlecht, bin aber angesichts der militärisch offenen Situation bestürzt über den Kurs unseres Außenministers.

Welche strategische Tiefe erreicht eine Außenpolitik, die die Freiheitskämpfer in Arabien feiert, aber zurückzuckt, wenn es um militärischen Beistand geht?

Millotat: Wir sind eingebunden in Bündnisse, die uns nach meiner Meinung sehr viel Positives beschert haben -- nicht zuletzt die deutsche Wiedervereinigung. Ich bin der Auffassung, dass die Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte dazu geführt hat, dass wir kreditwürdig wurden. Wir sind angesehen, haben den Schatten Stalingrads abgestreift. Deswegen dürfen wir in der multinationalen Familie selbstverständlich aktiv mitziehen. Wir können nicht herumtrompeten, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben zu wollen, zudem vorschnelle Urteile über Libyen abgeben, um dann zu kneifen, wenn es zum Schwur kommt. Das ist nicht in Clausewitz' Sinne. Der Scherbenhaufen, den Westerwelle angerichtet hat, ist verheerend.

Ist der Einsatz Frankreichs in der Elfenbeinküste in diesem Sinne erfolgreicher? Er hatte als klares Ziel die Inthronisation des Wahlsiegers -- und dieses erreicht.

Millotat: Frankreich hat Verträge mit seinen ehemaligen Kolonien und dort zum Teil auch noch Kräfte stationiert -- etwa Einheiten der Fremdenlegion in der Elfenbeinküste. Zur Selbstwahrnehmung der französischsprachigen Welt gehört, dass man sich hilft. Aber für mich ist wichtig, dass Frankreich in der Lage ist, zu handeln. Sie können sofort 22EUR000 Mann einsetzen. Beschämend für uns als 80-Millionen-Volk ist, dass wir schon stöhnen, wenn wir nur 7000 Soldaten einsetzen müssen. Das wird sich mit der Bundeswehrreform ändern.

Was würde der preußische Militärtheoretiker dazu sagen, dass die Parlamentsarmee von der Politik starke Einsatzbeschränkungen auferlegt bekommt -- etwa in Afghanistan?

Millotat: Clausewitz sagt, die Politik dürfe vom Militär nichts fordern, was es nicht zu leisten vermag. Er warnt davor, dass sich Politiker, die immer auch innenpolitisch orientiert sind, der Streitkräfte bedienen, um sich zu profilieren. In dieser Hinsicht sind fatale Fehler gemacht worden. So feierte der damalige Verteidiungsminister Jung immer noch den Fortschritt, dass Mädchen in Afghanistan wieder zur Schule gehen könnten, als die Bundeswehr längst in einem Kampfeinsatz stand. In der Folge hat die Politik der Truppe zu spät die notwendige Kampfausrüstung und die notwendigen Hubschrauber verschafft. Ich räume ein, dass es schwierig ist für Politiker, zu erkennen, bis zu welchem Punkt sie Militärs hineinregieren dürfen. Das verlangt, dass sie in militärischen Dingen geschult sind, was nicht überall der Fall ist.

Inwieweit ist Clausewitz' Grundsatz, im Krieg habe die Theorie stets praktisch zu bleiben, in der deutschen Truppenführung berücksichtigt?

Millotat: Was Clausewitz auszeichnet vor anderen Militärtheoretikern wie Antoine-Henri Jomini oder Niccolò Machiavelli ist, dass er keine Rezepte gibt, sondern Grundsätze formuliert. Damit überlässt er die Freiheit des Handelns, die Kunst der Umsetzung, demjenigen, der es umsetzen muss. Dies ist seit langem Bestandteil der deutschen Militärkultur, anders als bei unseren Verbündeten.

Schwammige Ziele, doppelte Zuständigkeiten -- dümpeln die Balkan-Einsätze vor sich hin, weil Politiker ihren Clausewitz nicht kennen?

Millotat: Dass die Resolution 1244 nicht nachgebessert wurde, die keinerlei Angaben darüber macht, wie der Aufbau des Kosovo zu erfolgen hat, zeigt mir, dass Clausewitz weitgehend unbekannt ist. Von einem Dahindümpeln würde ich aber nicht sprechen. Der weitestgehende Abbau der Einsatzkräfte vor Ort zeigt, dass wir eine Sicherheit geschaffen haben, dass das Morden nicht wieder losgeht. Das Gleiche gilt für Bosnien-Herzegowina. Aber mit einem umfassenden Konzept wären viele Fehler vermieden worden.

Die Definierung nationaler Interessen gilt in Deutschland immer noch als Tabubruch, erinnert man sich an die Reaktionen auf den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der Auslandseinsätze auch zur Wahrung von Wirtschaftsinte"ressen guthieß. Welche Chancen hat da die Ausformulierung einer nationalen Strategie?

Millotat: Die Weise-Kommission hat gefordert, dass eine nationale Strategie formuliert wird. Der neue Verteidigungsminister de Maizière hat zugesichert, dass die "Verteidigungspolitischen Richtlinien", die etwas Ähnliches darstellen, schnell fertiggestellt werden. Vergessen darf man dabei aber nicht, dass die "Richtlinien" von der Hardthöhe herausgegeben werden. Das erreicht mitnichten den Stellenwert der national strategy, die der US-Präsident alle paar Jahre herausgibt. Wir brauchen eine derartige Positionierung, eine Definierung der nationalen Interessen, ganz dringend. Nicht nur für den militärischen Bereich alleine. Wenn wir das nicht rasch machen, sind wir nicht kalkulierbar. Und das kann eine Katastrophe auslösen.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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