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Mittelbayerische Zeitung: Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt - und es liegt an den Industriestaaten, das zu ändern. Leitartikel von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Jetzt, in der Ferienzeit, haben die meisten Menschen hierzulande nur einen Wunsch: dem Alltag zu entfliehen. Dass es Menschen gibt, bei denen die Flucht der Alltag ist, das vergessen wir. Dabei sind laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) derzeit mehr als 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist so, als wenn jeder zehnte EU-Bürger sein Zuhause verlassen müsste. Die Industriestaaten müssen sich überlegen, wie sie mit diesem Thema umgehen. So wie bisher sicher nicht. Denn die Zahl der Flüchtlinge wird steigen. Auch, weil der Westen handelt, wie er handelt. Entgegen aller Beteuerungen, die immer gerne mit Statistiken belegt werden - auch in Deutschland, das mit 25 300 Asylanträgen im vergangenen Jahr weltweit an der Spitze liegt - tun die westlichen Staaten viel zu wenig, um das Leid der Menschen zu lindern. Im Gegenteil: Die Schere zwischen armen und reichen Nationen und Kontinenten klafft immer weiter auseinander. Die meisten Länder Afrikas sind immer noch willkommene Absatzmärkte für hochsubventionierte Lebensmittel aus der EU, während Fangflotten die Fischbestände vor den Küsten leerfischen. Während Kriege und Konflikte im Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik täglich Tausende von Menschen in die Flucht schlagen, ist der Westen kaum fähig, so etwas wie Protestnoten zu verfassen. Abgreifen ja, eingreifen eher nicht, lautet die Devise. Appelle der Hilfsorganisationen laufen ins Leere. Gleichzeitig werden an den eigenen Grenzen höhere Zäune aufgestellt und die Überwachung ausgebaut. Wie untätig oder unfähig der Westen ist, zeigt sich am Schicksal der Syrer, Somalier und Afghanen. Der jahrelange, blutige syrische Bürgerkrieg hat neun Millionen Menschen ihrer Heimat beraubt - und die Welt schaut zu. Der Afghanistan-Krieg hat ebenso Millionen von Menschen ins Ausland getrieben, und das, obwohl der Westen dort interveniert hat, allerdings ohne Plan und mit der Folge, dass Krieg und Terror das Land zu einem "failed state" machen könnten - was es in traurige Verwandtschaft zu Somalia brächte, in dem bis heute Chaos und Gewalt regieren. Die Weigerung der Industriestaaten, entschieden gegen den Klimawandel vorzugehen, verschärft die Lage zusätzlich. Während die Menschen in westlichen Staaten in verregneten Sommern oder milden Wintern Anzeichen einer Klimaveränderung zu sehen glauben, sind jahrelange Dürren oder regelmäßige verheerende Flutkatastrophen in weniger entwickelten Teilen der Welt brutale und existenzvernichtende Realität. Die Industrie- und vor allem die Schwellenländer dürfen den Klimawandel nicht weiter als mythologisches Wesen abtun, das in der Absicht beschworen wird, wirtschaftliches Wachstum zu verhindern. Sonst werden sie in naher Zukunft mit einer ungeahnten Zahl von Menschen konfrontiert werden, deren Heimat entweder unfruchtbar wurde oder schlicht weggeschwemmt worden ist. In einem sich abzeichnenden Jahrzehnt der Flucht wird es nicht mehr reichen, vor der eigenen Haustüre zu kehren - und dann einen Zaun davor zu stellen. Es braucht zumindest zeitlich begrenzt andere Regeln für die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Es braucht aber auch mehr Unterstützung für die Länder, die Menschen in Not aufnehmen, obwohl sie selbst schon längst an ihre finanziellen und logistischen Grenzen gestoßen sind. Wir denken globalisiert, wenn es um wirtschaftliche Belange geht und sehen die Globalisierung dann als Chance. Aber wir vergessen die Verantwortung, die sich daraus ergibt. Das vielzitierte und genauso oft belächelte Bild der Chaostheoretiker, in dem der Flügelschlag des Schmetterlings am anderen Ende der Welt einen Tornado auslösen kann, ist längst schon Realität.

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