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Mittelbayerische Zeitung: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück spricht im Interview über Ego-Trip und Gemeinsinn sowie über breite Schultern und Rückenwind aus Bayern.

Regensburg (ots)

MZ: Herr Steinbrück, kennen Sie den Videoclip Hätte-hätte-Fahrradkette? Peer Steinbrück: Ja, und ich habe herzhaft darüber gelacht, witzig gemacht und die Band ist doch wirklich gut.

MZ: Seit fast 60 Jahren arbeitet sich die SPD in Bayern an der CSU ab. Warum sollte 2013 der Machtwechsel im Freistaat gelingen? Steinbrück: Erstens hat die CSU genügend Skandale am Hals, so dass sich viele bayerische Wähler fragen werden, ob sie einer solchen Staatspartei weiterhin den Freistaat anvertrauen dürfen. Zweitens ist Christian Ude nun wirklich ein Geschöpf Bayerns und ein glänzender Oberbürgermeister von München. Eine Woche vor der Bundestagswahl wünschen wir uns ein Wahlergebnis, das uns Rückenwind gibt.

MZ: Schmerzt Sie das 2:1 der Bayern gegen Dortmund noch? Peer Steinbrück: Klar. Es war aus Dortmunder Sicht bitter, zumal die Mannschaft von Jürgen Klopp ein tolle Saison gespielt hat. Aber neidlos ist anzuerkennen, dass die Bayern die letzten 25 Minuten den größeren Druck gemacht haben.

MZ: Ist Bayern München nicht gewissermaßen die Union: Sie lässt die SPD anrennen und schießt kurz vor Ende das entscheidende Tor? Steinbrück: Nein, die CDU/CSU ist wie der FC Malaga, die waren gedanklich auch schon weiter und haben dann doch verloren.

MZ: Wann beginnt die Nachspielzeit im Bundestagswahlkampf? Steinbrück: Das sind die letzten vier Tage im Wahlkampf.

MZ: Was lernen Sie von BVB-Trainer Jürgen Klopp für die Politik? Steinbrück: Die Kombination von Leidenschaft, deutlicher Sprache und Strategie.

MZ: Glauben Sie wirklich noch daran, dass Sie mit der SPD das Ruder im Wahlkampf herum reißen können? Steinbrück: Die Betonung bei Wahlkampf liegt auf Kampf. Wir brauchen Leidenschaft, Augenmaß und Verantwortung. Und es wird ganz maßgeblich auf die Mobilisierung der Wähler ankommen. Wenn mehr Menschen zu Wahl gehen als 2009 mit 70,8 Prozent, wenn es vielleicht 77 oder 78 Prozent oder hoffentlich mehr werden, dann hat die SPD das größere Potenzial. Die Menschen, die uns 2002 und 2009 nicht mehr gewählt haben, sind kaum zu anderen Parteien abgewandert, sondern befinden sich im Wartesaal. Wenn es uns gelingt, sie mit unseren Themen zu erreichen, dann glaube ich an unseren Erfolg.

MZ: Es gibt aber nicht die Stimmung "Mutti" Angela Merkel muss weg, wie seinerzeit 1998 Kohl muss weg. Steinbrück: Wir haben nicht mehr 1998. Heute spielen andere Stimmungen eine Rolle: Ist nicht die Zeit gekommen, vom Finanzmarktkapitalismus wieder zur sozialen Marktwirtschaft zurück zu kommen? Vom bloßen Ego-Trip zurück zu mehr Gemeinsinn? Mehr Wir, weniger Ich?

MZ: Das Wir entscheidet.

Steinbrück: Genau. Und damit meinen wir bezahlbare Wohnungen, eine faire Bezahlung von guter Arbeit, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, gute Chancen für Unternehmensgründer, eine größere Durchlässigkeit des Bildungssystems, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bessere Kinderbetreuung. Das alles sind praktische Themen, für die wir konkrete Antworten vorlegen.

MZ: Vor fünf Jahren haben Sie es abgelehnt, Kanzlerkandidat werden zu wollen. Ich bin doch nicht verrückt, sagten Sie damals. Warum tun Sie sich den Kandidatenjob jetzt an? Steinbrück: (Lacht) In den vergangenen fünf Jahren hat sich vieles verändert. Ich habe für meine Positionen sehr viel Zuspruch erfahren. Meine Partei hat es für richtig erachtet, mich zu ihrem Kanzlerkandidaten zu machen. Und nun kämpfe ich mit meiner Partei mit ganzem Einsatz in einem demokratischen Wettbewerb um den Sieg.

MZ: Wie motivieren Sie sich selbst, indem Sie keine Umfragen, keine Presse lesen? Steinbrück: Nein, einiges an Angriffen müssen sie einfach abperlen lassen. Auch wenn ich über manche Übertreibung und Skandalisierung nur den Kopf schütteln kann. Dünnhäutig dürfen Sie nicht sein. Wer in die heiße Küche der Politik geht, der muss die Hitze aushalten können.

MZ: Angela Merkel kommt als Retterin des Euro und der deutschen Sparguthaben daher. Die SPD pocht dagegen unpopulär auf Steuererhöhungen. Ist im Wahlkampf am Ende der Ehrliche der Dumme? Steinbrück: Wenn höhere Steuern für die Einhaltung der Schuldenbremse, für mehr Bildung, für Infrastruktur und bessere Kommunalfinanzen genutzt werden, dann sind sehr viele Menschen dafür. Zumal klar ist, dass nicht alle Steuern für alle, sondern nur einige Steuern für einige erhöht werden sollen. Breite Schultern sollen mehr tragen.

MZ: Ab wie viel Euro Jahreseinkommen sind die Schultern breit genug? Steinbrück: Eine Familie mit zwei Kindern wird bis zu einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 138 000 Euro keinen Cent mehr zahlen. Der Spitzensteuersatz setzt bei Verheirateten erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 200 000 Euro ein. An diesen Zahlen kann jeder ausrechnen, ob er betroffen ist. Das sind nur wenige, etwa 5 %. Wir hören das alte Lied unserer politischen Gegner, das auch der Facharbeiter mit der kalten Hand des Sozialismus in seine Geldbörse rechnen muss - nur: es ist kein Hit mehr.

MZ: Wie viele Agenda-2010-Kritiker müssen Sie ins Kompetenzteam holen, damit man Ihnen abnimmt, sie werden die Agenda verändern? Steinbrück: Es ist erstaunlich, diese Agenda ist zehn Jahre her. Und Klaus Wiesehügel oder Florian Pronold werden daran gemessen, was sie vor zehn Jahren gesagt haben. Was für die SPD und für mich gilt, gilt auch für diese beiden kompetenten Politiker in meinem Team: Wir haben uns weiter entwickelt.

MZ: An welcher Stelle wollen Sie die Agenda 2010 weiter entwickeln? Steinbrück: Zunächst hat nicht zuletzt die Agenda 2010 dafür gesorgt, dass es und wirtschaftlich so gut geht. Aber bei der Arbeitsmarktpolitik. haben wir die Tür für Leiharbeit, Minijobs, Werksverträge zu weit geöffnet. Dass weit über sieben Millionen Menschen zu Stundenlöhnen unter 8,50 Euro arbeiten müssen, muss man wohl korrigieren.

MZ: Wenn es am 22. September im Bund nicht zu Rot-Grün reicht, wer wird dann Gregor Gysi eine rot-grün-rote Koalition anbieten, Sie oder Sigmar Gabriel? Steinbrück: Keiner. Wir haben öffentlich zigmal ausgeschlossen, dass die SPD eine Koalition mit der Linken schließen oder auch nur eine Duldung anstreben wird. Dabei bleibt es.

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