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Westfalenpost: Geduld gehört zur Demokratie
Kommentar von Jost Lübben zum Scheitern der Jamaika-Sondierungen

Hagen (ots)

Es gibt Tage, da ist die Suche nach dem Spielverderber nicht besonders schwer. Gestern war ein solcher Tag. FDP-Chef Christian Lindner hat sich ziemlich viel Mühe gegeben, in dieser Frage die gesamte Polit-Konkurrenz weit hinter sich zu lassen. Die FDP hat es abgelehnt, Verantwortung zu übernehmen. Das ist zwar keine Katastrophe für unser Land, aber auch kleine Kleinigkeit. Zu Panik allerdings besteht überhaupt kein Anlass.

Der Schritt der Liberalen kam für die Verhandlungspartner von CDU/CSU und Grünen überraschend, war aber für jeden offensichtlich gut vorbereitet. Natürlich gab es nie einen Zweifel daran, dass eine Jamaika-Koalition nur eine Zweck-Ehe sein könnte. Eine Liebesheirat sieht eindeutig anders aus. Aber um die ging es auch zu keinem Zeitpunkt, weil nach der Verweigerung der SPD die Alternative fehlte. Die Wählerinnen und Wähler hatten mit ihrem Votum die Grünen und die Liberalen gestärkt. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass sie sich eine Regierungsbeteiligung dieser beiden Parteien wünschen.

Für die Entscheidung der FDP mag es viele Gründe geben. Ist es der latente Vorwurf, stets nur auf Ministerposten bedacht zu sein oder steht im Hintergrund der Plan, damit das Ende der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel einzuläuten? Denn wer weiß schon, ob die Union zu möglichen Neuwahlen noch einmal in der langjährigen Konstellation antreten wird. Auffällig allerdings am Scheitern der Sondierungsgespräche ist die Tatsache, dass die Erklärung von Parteichef Christian Lindner kurz vor Mitternacht nahezu zeitgleich in die sozialen Netzwerke eingespeist wurde. Das erweckt zumindest den Anschein, dass das Scheitern-Lassen der Gespräche bereits seit längerer Zeit beschlossen war.

Erstens müssen also die Ursachen des Scheiterns geklärt werden, zweitens ist es relativ normal, dass sich die Parteien in den kommenden Tagen und Wochen neu ordnen. Vermutlich wird dann auch ans Tageslicht kommen, wer wirklich das Aus zu verantworten hat. Schließlich gehörten Durchstechereien schon während der Koalitionsverhandlungen zur Tagesordnung. Wir werden auch erfahren, ob Horst Seehofer bei der CSU eine Zukunft hat. Die bayerische Partei wird wohl kaum sehenden Auges im kommenden Jahr mit einem angeschlagenen Parteichef und Ministerpräsidenten in die Landtagswahl ziehen. Offen ist außerdem, ob die SPD mit ihrem gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz weitermachen möchte. Ob die Grünen in Umfragen von ihrer kompromissbereiten Verhandlungsstrategie profitieren werden, bleibt abzuwarten. Vollkommen unklar ist derzeit, inwiefern die AfD vom Scheitern der Jamaika-Sondierer profitieren wird: Zum Frohlocken besteht für die selbst ernannte Alternative noch kein Anlass.

Es ist richtig, wenn nun die Zeit zum Innehalten genutzt wird. Vielleicht gibt es einen weiteren Anlauf mit neuem Personal. Ist eine Minderheitsregierung möglicherweise eine Option? Immerhin hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Verhandlungspartnern und auch der SPD am Montag die Leviten gelesen. So leicht macht das Staatsoberhaupt die Tür zu Neuwahlen nicht auf. Gut so.

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