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WAZ: Tod verhindert Milosevic-Urteil Geschichtsklitterung möglich - Kommentar von Hendrik Groth

Essen (ots)

Weitaus dramatischer als die Meldung des Todes von
Slobodan Milosevic ist die Tatsache, dass der frühere jugoslawische
Präsident vom Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen in Den
Haag nicht verurteilt werden konnte.
Natürlich liegt die Verantwortung des skrupellosen Serben für vier
Kriege, Konzentrationslager, Massaker, Vertreibungen und
Vergewaltigungen auf der Hand. Nur: Für die Menschen auf dem Balkan
war die Völkermord-Anklage gegen einen Ex-Staatschef für die
Aufarbeitung der eigenen Geschichte einfach nicht ausreichend. Nur
ein Schuldspruch hätte die notwendige Klarheit für einen Schritt nach
vorn in Richtung europäische Integration gebracht.
Ein unabhängiges Urteil hätte serbische Historiker und Politologen
in den Stand versetzt, gegen in der Gesellschaft weit verbreitete
Mythen, Geschichtsklitterung oder Verschwörungstheorien angehen zu
können. Nun wird der internationale Gerichtshof in den Niederlanden
noch mehr infrage gestellt werden. Viele Serben, und das gilt nicht
nur für nationalistische oder chauvinistische Kräfte, haben das
Gericht nie anerkannt, fühlen sich von der UN-Gerichtsbarkeit zu
Unrecht an den Pranger gestellt, unterstellen Parteilichkeit zu
Gunsten von Kroaten oder Bosniern.
Es wird verdrängt und vergessen. Vor zwei Wochen brachte sich der
Kriegsverbrecher und Serbenführer Milan Babic in seiner Haager Zelle
um, jetzt ist Milosevic tot. Das ist der Stoff, aus dem Legenden
gestrickt werden. Vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar,
dass die Regierung in Belgrad die wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit gesuchten bosnisch-serbischen Extremisten Radovan
Karadzic und Ratko Mladic ausliefern wird. Die Überstellung des Ex-
Generals Mladic verlangt die Europäische Union in einem Ultimatum bis
zum 5. April.
Geschieht das nicht, werden die Verhandlungen über ein
Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt,
eine Sackgasse für Belgrad wie für Brüssel. Denn es kann nicht im
europäischen Interesse sein, Serbien politisch zu isolieren und auf
diese Weise wirtschaftlich zu destabilisieren. Seit Jahren nimmt die
Armut in Serbien zu. Die Rechtsextremisten stellen bereits die
stärkste Fraktion im serbischen Parlament.
Dass Serbien gespalten ist, zeigen die Trauerfeierlichkeiten vom
Sonntag. Sie galten nicht Milosevic, sondern dem Reformpolitiker
Zoran Djindjic, der vor drei Jahren ermordet wurde. Es bedarf nun
einer klugen Politik der EU, um aus der aktuellen Krise
herauszukommen. In diesem Jahr soll und muss über den internationalen
Status des Kosovo und auch der Teilrepublik Montenegro entschieden
werden. Mit Extremisten können solche heiklen Verhandlungen nicht
erfolgreich geführt werden, mit Demokraten schon.

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