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BERLINER MORGENPOST: Keine Angst vor der Landkarte der Zukunft - Leitartikel

Berlin (ots)

Die Endlos-Straßenbilder von Google - "Street View" (Straßenansicht) genannt - gibt es seit drei Jahren. Auf ihnen kann man aus der Fußgängerperspektive die besiedelte Welt erkunden, seit kurzem auch Hongkong. Nach langem Streit soll der Google-Dienst im November ebenfalls in Deutschland freigeschaltet werden - aber mit einer Zusatzfunktion, die Google nirgendwo sonst anbietet. Bei uns darf jeder Computernutzer per Knopfdruck Widerspruch gegen die Abbildung seines Hauses einlegen. Betätigt auch nur ein einziger Mieter den Knopf, muss ein Vielparteien-Mietshaus unkenntlich gemacht werden. Das Widerspruchsrecht per Knopfdruck gilt als großer Sieg des Rechtsstaats. Aber es ist ein riskanter Sieg. Ein solches unbegrenztes privates Einspruchsrecht läuft auf das Totalverbot von privaten Fotos im öffentlichen Raum hinaus. Außerdem beschreitet Deutschland mit ihm den Weg zur verfälschten Landkarte. Das Totalverbot von Straßenfotos könnte drohen, weil Street View nach dem Baukastenprinzip funktioniert. Die Kamera-Autos von Google haben nur die Erstausstattung von Google Street View geliefert. Aktualisiert werden sollen die Straßenansichten von Privatleuten. Google kann ja nicht alle paar Jahre die Welt abfahren. Deshalb darf schon jetzt jeder seine eigenen Bilder bei Street View einbauen. Wer also die Bilder der Google-Kamerawagen von seinem Wohnhaus verbietet, muss künftig alle Fotos seiner Straße untersagen. Denn jeder knipsende Passant ist ein potenzieller Google-Zulieferer. Er kann solche Privatfotos bei anderen Netzdiensten wie Flickr hochladen und dann einen Verweis darauf bei Google schalten. Foto-Verbote sind nur in Privatstraßen erlaubt. Soll Deutschland künftig aus Privatstraßen bestehen? Street View ist eine Zivilisation im Geburtsstadium. Tourismus, Immobilien, Marktforschung, Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte und vieles mehr werden auf ihm aufbauen. In den USA ist eine solche Vernetzung jetzt schon weit verbreitet. Wenn Deutschland bei Google zum Flickenteppich wird, hat der neue Markt wenige Chancen. Dem neuen Markt diente auch die Erfassung lokaler Computerfunknetze durch Google. Der öffentliche Internetzugang gehört zur neuen Dienstewelt. Ein Verzeichnis solcher öffentlichen Einwahlpunkte will Google liefern. Es hat dabei auch private Funknetze erfasst. Das war technisch unvermeidbar. Der Protest dagegen wirkt seltsam. Wer sein Privatnetz verschlüsselt betreibt, kann über Google die Achseln zucken. Wer unverschlüsselt surft, handelt wie jemand, der Briefe ohne Umschlag in die Post gibt oder sein Tagebuch im Café auslegt. Street View ist die Landkarte der Zukunft. Wer sie verfälscht, sich ihr verweigert, wird dastehen wie die unglücklichen Städter, die zu spät ihre mittelalterlichen Stadtmauern abrissen. Weil sie so viel Angst vor Räubern hatten, verpassten sie die offene Zukunft.

Pressekontakt:

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Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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