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Berliner Morgenpost: Das Problem der FDP hat einen Namen: Westerwelle - Leitartikel

Berlin (ots)

Als ein gewisser Josef Fischer vor gut elf Jahren
zum Außenminister und Vizekanzler ernannt worden war, hielt die 
Republik den Atem an. Würde ein ehemaliger Steinewerfer, ein 
Kommunarde ohne Abitur, ein Turnschuhminister mit bedenklichen 
Umgangsformen im Staatsamt bestehen können? Fischer konnte. 
Blitzartig hatte der Instinktpolitiker nach dem Wahlsieg von Rot-Grün
seinen Habitus umgestellt: Er sprach majestätisch, blickte besorgt, 
führte seine aufsässigen Grünen hart und wenig herzlich. Mit seinem 
ewigen Widersacher Trittin hatte er ein Abkommen getroffen: 
Rivalitäten werden dem Machterhalt untergeordnet. Joschka Fischer war
ein solider Staatsschauspieler, sicher nicht der beste Außenminister 
der Republik, aber halbwegs fehlerfrei. Er überraschte sogar seine 
Gegner positiv.
Guido Westerwelle dagegen überrascht sogar seine Freunde negativ. 
Auch er war unter öffentlichem Vorbehalt gestartet, aber das 
Darstellen von Bedeutung hatten ihm sogar seine Feinde zugetraut. 
Doch der FDP-Chef hat die fast 15 Prozent Zustimmung aus dem Herbst 
binnen eines Vierteljahres halbiert. Die Gründe sind mannigfach, aber
die Ursache hat immer den gleichen Namen: Westerwelle. Der Mann hat 
ein Führungsproblem, auf mehreren Ebenen.
Da ist die Partei. Monatelang lag die Zentrale verwaist, weil alle 
Mitarbeiter gierig in die Ministerien gestürmt waren.
Da ist die Fehlkonstruktion im Kabinett: Eine Kleinpartei hat im 
Gesundheitsministerium nichts verloren, das haben die Grünen vor zehn
Jahren schon lernen müssen. Das Entwicklungshilfeministerium 
schließlich ist zum Symbol für prinzipienlose Pfründegier geworden. 
In der unseligen Kombination mit Parteispende und Hotelierbonus hat 
die FDP in Rekordzeit das kostbarste Kapital der Politik verspielt: 
Glaubwürdigkeit.
Folgerichtig werden Westerwelles Betrachtungen zum Sozialstaat nicht 
als inhaltlicher Beitrag zu einer wichtigen Debatte wahrgenommen, 
sondern schlicht als Angstbeißen. Westerwelles Ausbruchsversuch 
illustriert nur umso deutlicher die Seriositätsfalle, in die der Chef
seine Partei manövriert hat. Alles, was Skeptiker schon immer hinter 
dem liberalen Vorhang vermuteten, trat seit dem Wahlsieg hervor: 
Klientelpolitik, Besserverdienenden-Habitus, Machtgier, das 
egomanisch Parvenü-Hafte.
Das Schlimmste, was einem Politiker widerfahren kann, ist das 
anschwellende Geraune: Der kann es nicht. Westerwelle hat dieses 
Stadium erreicht. Er ist überfordert mit der Mehrfachrolle als 
Außenminister, Parteichef und Richtungsweiser. Folgerichtig fordert 
der nervöse NRW-Liberale Pinkwart, die Führungsverantwortung zu 
teilen. Der Ansatz ist richtig. Ob Schröder, Genscher oder Fischer, 
fast alle großen Politiker brauchten die Münteferings, Lambsdorffs 
oder Trittins, um ihre Macht zu stabilisieren. Nur 
Ausnahmeerscheinungen wie Angela Merkel bringen es fertig, Partei und
Regierung mit einer Schar ergebener Bubis zu führen. Westerwelle aber
ist keine Ausnahmeerscheinung. Er wird Macht abgeben müssen, um sie 
zu erhalten.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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