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Berliner Morgenpost: Ein Urteil, das zum Nachdenken anregt - Leitartikel

Berlin (ots)

Richter sind unabhängige Menschen. Gebunden an
Recht und Gesetz natürlich, aber man weiß ja, dass Paragrafen dehnbar
sind, und seien sie noch so knackig formuliert. Also sollten wir 
nicht allzu heftig den Kopf schütteln über das gestrige Urteil einer 
Richterin des Niedersächsischen Finanzgerichts, die knapp 20 Jahre 
nach seiner Einführung ein sehr großes Fragezeichen hinter die 
Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags gesetzt hat. Ein 
Fragezeichen, das auch nicht kleiner wird durch den Umstand, dass das
Bundesverfassungsgericht seinerseits vor gar nicht allzu langer Zeit 
eine Klage des Steuerzahlerbundes gegen den Soli nicht einmal zur 
Entscheidung angenommen hat. Nun muss es sich doch befassen. Und, 
sagen wir mal so: Auch wenn die Hoffnung gering ist, dass sich die 
Dinge am Ende positiv in Steuerzahlers Portemonnaie bemerkbar machen,
schlecht ist diese neue Wendung der Soli-Debatte nicht.
Der Solidaritätszuschlag ist nach der Pendlerpauschale und Hartz IV 
die dritte Art staatlicher Umverteilungspolitik, die von der Justiz 
kritisch unter die Lupe genommen wird. Gut ausgesehen haben 
Legislative und Exekutive dabei bisher nicht. Man hat eher den 
Eindruck, dass Parlament und Regierung immer wieder auf die Finger 
bekommen für ihre Künste, dem Steuerbürger das Geld an der einen 
Stelle aus der Tasche zu ziehen, um es andernorts mehr oder weniger 
sinnvoll auszugeben. Die Pendlerpauschale muss schon wieder gezahlt 
werden, Hartz IV für Kinder dürfte demnächst aufgestockt werden auf 
Karlsruher Geheiß. Gerät auch noch der Solidaritätszuschlag ernsthaft
ins Wanken, sollte man sich vielleicht mal Gedanken machen in 
Bundestag und Bundesrat, ob man sich nicht einen allzu freihändigen 
Umgang mit dem Geld der anderen angewöhnt hat.
Der Eindruck jedenfalls, den zum Beispiel die neue 
Regierungskoalition derzeit bei diesem Thema hinterlässt, ist allemal
geeignet, dieser Auffassung Nahrung zu geben.
Denn eins bleibt ja festzuhalten: Das Gericht in Hannover hat gestern
natürlich kein Urteil gegen die "gesamtdeutsche Solidarität" 
ausgesprochen, wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse gewohnt 
maßlos attestierte. Was für ein gequirlter Unsinn. Die Richterin hat 
lediglich festgestellt, dass die Art und Weise, wie diese Solidarität
hergestellt wird, aus ihrer Sicht nicht den Maßstäben der Verfassung 
entspricht. Darüber wird man formidabel streiten können. Zumal der 
Solidaritätszuschlag eben nicht, wie bürokratisch-geschickt 
suggeriert, zweckgebunden für den Aufbau Ost erhoben, sondern als 
weitere Steuereinnahme einzig und allein in Wolfgang Schäubles Kasse 
gesteckt wird, ganz unabhängig davon, was am Ende mit dem Geld 
geschieht.
So gesehen ist diese "Ergänzungsabgabe" übrigens auch ein wunderbarer
Posten für Bundespolitiker, die wahrhaftig Steuern senken wollen, 
ohne dass Zustimmungsboni an meckernde Ministerpräsidenten verteilt 
werden müssten. Wäre nach diesem Urteil vielleicht einen Gedanken 
wert.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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